"Früher hat man sich an der Bassena zum Tratsch getroffen", sagt Architekt Clemens Kirsch. "Im Que[e]rbau übernimmt diese Funktion das riesige Atrium mit seinen langen, umlaufenden Gängen."

Foto: Hertha Hurnaus

Keine rosa-lila Villa, ...

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... sondern ein unauffälliges Haus mit inneren Werten.

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Andreas Konecny und Roland Hampel vom Verein Que[e]rbau – hier auf den Treppen zu sehen – haben sich von Anfang an darum bemüht, im gesamten Haus eine aktiv gelebte Nachbarschaft entstehen zu lassen.

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Rhonda D'Vine und ...

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... G. Gruber.

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Mein ganzes Leben lang habe ich mich noch nie so richtig zu Hause gefühlt", sagt Rhonda D'Vine, "aber jetzt ... jetzt bin ich angekommen. Ich denke, hier werde ich glücklich werden." Rhonda wohnt in einer Dreizimmerwohnung im dritten Stock, und wenn sie von den materiellen und feinstofflichen Vorzügen ihrer 74 Quadratmeter schwärmt, dann schwingt so etwas wie Stolz in ihrer Stimme mit.

"Ich wollte immer schon in Gemeinschaft und in einem Ambiente von Zusammenhalt leben. Ich habe mich lange Zeit nach einer Baugruppe umgesehen in einer für mich passenden Gegend, nicht weit von der Wohnung meines Kindes entfernt. In der Seestadt Aspern hat sich nun alles zum Besten gefügt, und ich bin endlich fündig geworden."

In ihrem zivilen Leben arbeitet die 44-Jährige, die erst vor wenigen Monaten ihre Namens- und Personenstandsänderung durchgeführt hat, als Systemadministratorin in einem Unternehmen. Ihre Fingernägel sind in den fünf Farben der Transgender-Community lackiert: Blau, Pink, Weiß, Pink und Blau. Das Programm spiegelt sich auch in ihrer Kleidung wider: Jeansrock, darüber ein Top in Hellblau, Pink und Weiß. "Üblicherweise werden geförderte Wohnungen mit Rastern und Schablonen auf die österreichische Standardfamilie zugeschnitten, aber für Menschen, die aus der Norm fallen und womöglich etwas andere, etwas differenziertere Wohnbedürfnisse haben, bietet der Markt eigentlich recht wenig."

Mitsprache von Anfang an

Das soll sich nun ändern. Rhonda bewohnt eine von insgesamt 33 Wohneinheiten im sogenannten Que[e]rbau in der Maria-Tusch-Straße 2 im südwestlichsten Zipfel der Seestadt Aspern. Das Baugruppenprojekt geht auf die Initiative des Vereins Que[e]rbau zurück und wurde von der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA) errichtet.

Der gemeinnützige Bauträger hat schon jahrelange Erfahrung mit exotischen, programmatischen Partizipationsprozessen. Zu den bekanntesten Projekten zählen etwa die Frauenwerkstatt, das Frauenwohnprojekt rosa sowie das Obdachlosenwohnheim Neunerhaus in Wien-Landstraße. Der Que[e]rbau ist ein bewusst differenziertes Angebot an die LGBTQ-Community. Er richtet sich an Lesben und Schwule, an Bi- und Intersexuelle, an Transgender-Personen und Regenbogenfamilien, aber auch an all jene, die sich in so einem queeren Wohnumfeld wohlfühlen.

"Wir hatten die Möglichkeit, von Anfang an mitzureden und den Wohnungsgrundriss von null auf mitzugestalten", erzählt Rhonda, während sie im Wohnzimmer auf einem Ikea-Klappsessel Platz nimmt. "Für mich war das Wichtigste, einen schönen Ausblick zu haben und meinem Kind ein eigenes Zimmer bieten zu können. Selbst mitreden zu können ist schon etwas Tolles." Im Hintergrund sind der Donauturm und der Leopoldsberg zu sehen. Doch die wahren Vorzüge, meint sie, liegen eigentlich gar nicht so sehr in der Wohnung als vielmehr im ganzen Rundherum.

Farbenfragen

Geplant wurde der Que[e]rbau vom Wiener Architekten Clemens Kirsch. Sein Fokus lag auf einem möglichst neutralen Gebäude in verschiedenen Schlamm- und Ockertönen und mit einem Fokus auf die inneren Werte. "Auf den ersten Blick schaut das Haus gar nicht so aufregend aus", sagt Kirsch. "Das Letzte, was ich wollte, war eine rosa-lila Villa, denn wenn ein Projekt inhaltlich und typologisch schon so stark ist, dann muss man das nicht auch noch mit schreienden, hinausposaunenden Fassadenfarben hervorheben."

Stattdessen schuf Kirsch in der Mitte des Hauses ein offenes, lichtdurchflutetes Stiegenhaus, in dem Begegnung und Kommunikation stattfinden kann. "Früher hat man sich an der Bassena zum Tratsch getroffen. Im Que[e]rbau übernimmt diese Funktion nun das riesige Atrium mit seinen langen, umlaufenden Gängen." Statt mit dem Lift zu fahren, der sich hier wahrlich seltener in Bewegung setzt als in anderen, vergleichbaren Häusern, spazieren die Bewohnerinnen und Bewohner emsig auf den Stiegen auf und ab, als handle es sich dabei um einen schräg im Raum platzierten Catwalk.

Zu bestaunen gibt es eine Menge: herzliche Hallos, schallendes Lachen, schrill auftoupierte Perücken, längst verschwunden geglaubte Klamotten aus den 1960er-Jahren und nicht zuletzt den manifest gewordenen Mut, das scheinbar so einzementierte Gesellschaftsbild von Mann und Frau zu durchbrechen. Und zwischendurch ein paar Gesprächsfetzen, die schwerelos durch den Luftraum schwirren: "Kommst du heute Abend zum Film?" – "Du, wann fängt die Yogagruppe am Sonntag an?" – "Und, ach ja, bevor ich's vergesse, die Blumensamen sind schon angekommen, die können wir dann nächste Woche einsetzen!"

Gute Geister

Die guten Geister hinter diesem vielfältigen Programm, das unter anderem eine Sauna, einen Yogaraum, eine Gemeinschaftsterrasse, einen eigenen Coworking-Space sowie das Vereinslokal Yella Yella umfasst, sind Andreas Konecny und Roland Hampel. Der eine ist Obmann des Vereins Que[e]rbau, der andere so etwas wie der Partizipationsmeister, wie der Jongleur der Bewohnerwünsche und unzähligen Grundrissadaptierungen. Vor allem aber ist den beiden, die hier selbst ein Zuhause gefunden haben, das frühzeitige Entstehen der aktiv gelebten Nachbarschaft zu verdanken.

"Wir haben einen langen Entstehungsprozess hinter uns", sagt Vereinsobmann Andreas Konecny. "Die Mieterinnen und Mieter sind schon früh zusammengekommen und haben das Haus miteinander entwickelt. Dazu zählen nicht nur die individuellen Grundrisse, sondern vor allem auch die Gemeinschaftsräume und die soften Faktoren wie etwa Nutzung, Bespielung und das Community-Programm. Es geht um den Reflexionsprozess, um die Nutzung der Potenziale, um die Aneignung der Räume." Und wie sich die hier Wohnenden ihren Lebensort angeeignet haben. Demnächst werden sie sogar ihr eigenes Bier brauen: Queer Beer. Was sonst?

Simpel geschnitten

"Ich habe immer schon in Wohngemeinschaften gewohnt", sagt G. Gruber, der seinen Vornamen lieber für sich behalten möchte. G. wohnt in einer 45-Quadratmeter-Wohnung mit Blick ins Grüne. Die Wohnung ist simpel geschnitten, hat eine Wohnküche, ein Schlafzimmer und ein Bad mit einer großen Badewanne. "Der Grundriss ist perfekt auf meine persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten. Aber am meisten schätze ich das Zusammenleben mit all meinen Nachbarinnen und Nachbarn, die zeigen, wie breit der Queer-Begriff eigentlich ist." 54 Jahre lang wurde G. als "Sie" angesprochen, sagt er. "Das war gut. Aber jetzt ist es an der Zeit, dass auch einmal meine andere Seite namens 'Er' zu Wort kommt und sich ein bisschen entfaltet." Und dann ist es still im Raum. Die Entfaltung hat etwas Berührendes und Bezauberndes.

Das trifft auch auf das gesamte Wohnprojekt zu. Die Schwuchtel-Graffitis und die mitunter bissigen Ressentiments in der Umgebung haben die Bewohnerinnen und Bewohner weggesteckt wie nix. "Befürchtungen, Vorurteile und Diskriminierungen treten meist dann auf", sagt Rhonda D'Vine, während sie draußen auf dem Balkon steht und in die Ferne blickt, "wenn etwas nicht sichtbar ist. Doch das trifft in der Seestadt Aspern, die um viele Facetten reicher geworden ist, nun nicht mehr zu. Hey Leute, wir sind da!" Pride nennt sich diese Form der Resilienz in der Gay- und Queer-Community. (Wojciech Czaja, 8.12.2017)