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Andrej Babiš (links) am Mittwoch bei seiner Ernennung durch Präsident Miloš Zeman.

Foto: Reuters / David W Cerny

Prag/Wien – Mehr als sechs Wochen nach der Parlamentswahl ist die Regierungsbildung in Tschechien auf der Zielgeraden. Präsident Miloš Zeman hat Wahlsieger Andrej Babiš am Mittwoch zum Premierminister ernannt. Bei der kurzen Angelobungszeremonie kritisierte Zeman Journalisten, von denen sich viele kritisch über Babiš und seine immer noch ausständige Parlamentsmehrheit äußern. "Ich gebe Ihnen einen Rat", sagte Zeman in gewohnt grimmiger Art zum frischgebackenen Premier: "Ignorieren Sie sie."

Hintergrund: Die Babiš-Partei Ano hat im 200 Sitze zählenden Abgeordnetenhaus nur 78 Mandate, ist von einer absoluten Mehrheit also weit entfernt. Die Partei kann derzeit auch weder Koalitionspartner noch die Unterstützung für eine Minderheitsregierung vorweisen. Zeman ist das egal. Er pflegt gute Beziehungen zu Babiš und bewirbt sich im Jänner um die Wiederwahl als Staatsoberhaupt. Dafür wird er die Stimmen von Ano-Wählern brauchen, die Ernennung von Babiš zum Premier dürfte ihm da einige Pluspunkte bringen.

Angelobung der Minister erst in einer Woche

Ex-Finanzminister Babiš ist vorerst nicht nur ein Premier ohne Mehrheit, sondern auch einer ohne Regierung. Auch das mag befremdlich klingen, entspringt aber einer Besonderheit der tschechischen Verfassung: Die Ernennung eines Premiers ohne Minister ist quasi eine Zwischenstufe auf dem Weg vom Regierungsbildungsauftrag zur Angelobung des Kabinetts. Für kurze Zeit gibt es nun sogar zwei Regierungschefs: einen, der seine Ernennung schon fix in der Tasche hat und nur noch die Ministerliste nachreichen muss – und einen, der mit dem alten Team das Land einstweilen weiterverwaltet. In diesem Fall also den Sozialdemokraten Bohuslav Sobotka, dessen Partei bei der Wahl auf 7,3 Prozent abgestürzt ist.

Die Angelobung des gesamten Kabinetts ist für nächsten Mittwoch geplant, erst dann ist die Regierung komplett. Babiš dankte Zeman bei seiner Ernennung dafür, dass dieser den Termin vor den EU-Gipfel gelegt hatte, der bereits am Tag darauf beginnt. So kann Babiš als voll handlungsfähiger Premier nach Brüssel fahren, wo er sich vor allem beim Thema Brexit und bei der Migrationspolitik einbringen will – konkret beim Kampf gegen Schlepper und beim tschechischen Nein zur Umsetzung von Flüchtlingsquoten.

Ungewöhnliche Allianzen

Laut Verfassung muss die neue Regierung innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Ernennung die Vertrauensfrage im Abgeordnetenhaus stellen. Ausgerechnet die Kommunisten haben bisher als Einzige signalisiert, der Regierung des Milliardärs Babiš, der als zweitreichster Tscheche gilt, eventuell das Vertrauen auszusprechen. Für eine Mehrheit würde das aber nicht reichen.

Und dann ist da noch die fremden- und EU-feindliche Partei "Freiheit und direkte Demokratie", angeführt vom Tschechojapaner Tomio Okamura, die sich eine Zusammenarbeit mit Babiš vorstellen könnte – allerdings nur, wenn sie auch selbst in der Regierung vertreten ist. Das wiederum will der Pragmatiker Babiš nicht, der zwar in der EU Reformbedarf sieht, aber politisch meilenweit entfernt ist von Anti-EU-Ideologen wie etwa Jarosław Kaczyński, dem starken Mann Polens.

Folgenreiche Betrugsvorwürfe

Sozialdemokraten, konservative Parteien und Piraten wollen Babiš überhaupt nicht in der Regierung. Wichtigster Grund: Babiš wird als Unternehmer von der Polizei des EU-Subventionsbetrugs beschuldigt. Er selbst weist die Vorwürfe zurück, hat vor der Wahl wegen der Causa allerdings seine parlamentarische Immunität verloren – und nach der Wahl automatisch wiederbekommen.

Babiš strebt dennoch weiterhin eine Minderheitsregierung an und will in den nächsten Wochen mit den anderen Parteien über eine Tolerierung beraten. Sein Kabinett hat er schon beisammen. Es besteht aus Ano-Ministern der bisherigen Regierung mit Sozial- und Christdemokraten, weiteren Ano-Politikern und parteilosen Experten. Außenminister wird der Schauspieler und Diplomat Martin Stropnický, derzeit Verteidigungsminister.

Erste Verwerfungen

Doch selbst wenn Babiš genügend Mandatare für die Tolerierung seiner Minderheitsregierung gewinnen kann, wäre das keine Garantie für die Zeit danach. Erste Verwerfungen zeigen sich bereits. Die Kommunisten etwa wollen ihren Abgeordneten Zdeněk Ondráček als Chef der Kommission zur Kontrolle der Sicherheitskräfte installieren. Ondráček war 1989 vor der Samtenen Revolution als Polizist an der Niederschlagung einer regimekritischen Kundgebung beteiligt. Die Demonstranten stellte er dann im Staatsfernsehen als gewaltbereite Radaubrüder dar und erlangte so ein paar Minuten Berühmtheit.

Die Babiš-Partei Ano sträubt sich gegen Ondráček, die Kommunisten jedoch zeigen sich hartnäckig – ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie wackelig das Kabinett Babiš sein könnte, sofern es denn überhaupt das Vertrauen des Parlaments erhält. Auch wenn die Regierungsbildung nun also auf der Zielgeraden ist: Die letzte Runde auf dem Weg zu politischer Stabilität nach der Wahl ist in Tschechien noch lange nicht gelaufen. (Gerald Schubert, 6.12.2017)