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Ein Zweiergespräch hatten Griechenlands Premier Alexis Tsipras und der türkische Präsident Tayyip Erdoğan zuletzt beim UN-Gipfel 2016 in New York.

Foto: AP / Kayhan Ozer

Für Tayyip Erdoğan wird es eine eher übersichtliche Sache sein. 20 Zimmer allenfalls zählt die Villa Maximou, der Amtssitz des griechischen Premiers in Athen. Keine 1.000 mit Gold und Brokat wie im Ak Saray, dem "Weißen Palast", wie Erdoğans Präsidentensitz auf einem Hügel Ankaras im Volksmund heißt. Der große Kabinettstisch im Maximou dient gern auch Journalisten, die zu einem Pressetermin eingeladen sind – zumindest seit Alexis Tsipras Hausherr ist. Völlig undenkbar in Erdoğans Republik.

Immerhin wird der linke Regierungschef in Athen auch mit einer Garde in historischem Kostüm aufwarten können, wenn Erdoğan am Donnerstag das Treppchen zum Eingang in die Villa Maximou hochgeht. Die Evzonen mit Kilt, weißen Strümpfen und ihren Schnabelschuhen waren einmal eine Eliteieinheit im Kampf gegen die osmanische Herrschaft in Griechenland. Die türkisch-griechische Geschichte ist kompliziert.

Der Sultan und der linke Volkstribun

Erdoğans Besuch in Griechenland am Donnerstag und Freitag wird bereits als historisches Ereignis gefeiert: der erste Besuch eines türkischen Staatspräsidenten seit mehr als 60 Jahren. Zuletzt war Celâl Bayar im Jahr 1956 in Athen. Aber dann wiederum ist Erdoğans Besuch auch nicht so außergewöhnlich. 2010 war er als Premierminister zu Gast in der griechischen Hauptstadt. Giorgos Papandreou amtierte in der Villa Maximou; sein Vater Andreas hatte den kleinen neoklassischen Bau Anfang der 1980er-Jahre erst zum Amtssitz gemacht. Davor hatten griechische Premiers ihr Büro im Parlament gehabt. Noch viel undenkbarer für Erdoğan.

Der Sultan trifft nun den linken Volkstribunen. Die Themenliste ist lang, neben Wirtschaftsfragen ist auch viel Kontroverses dabei: die ständigen Luftraumverletzungen der türkischen Armee in der Ägäis; die acht Soldaten, die sich nach der Putschnacht des 15. Juli 2016 mit einem Hubschrauber nach Griechenland absetzten und die von der griechischen Justiz nicht ausgeliefert werden; der Niedergang von Rechtsstaat und Meinungsfreiheit in der Türkei. "Wir sehen natürlich, was dort vor sich geht. Wir wissen es genau und besser als die anderen in Europa", sagt ein griechischer Diplomat im Vorfeld von Erdoğans Besuch. Es ist auch ein Plädoyer für ein pragmatisches Verhältnis zum autoritären Staatschef.

Graubereiche beim Asyl für Türken

Die griechische Regierung habe als erste in Europa den Putschversuch im Sommer 2016 verurteilt, erinnert der Diplomat. Ein Abgleiten der Türkei in einen autoritären, überdies noch islamistisch ausgerichteten Staat wäre für den Nachbarn Griechenland fürchterlich. Deshalb bemühe man sich um eine "positive Linie" im Gespräch mit der türkischen Führung: Statt zu kritisieren und anzuklagen lieber betonen, wie nützlich es für die Türkei sei, an europäischen Standards festzuhalten.

Man werde die strittigen Fragen bei diesem Besuch nicht lösen, dämpfte Außenminister Nikos Kotzias, ein linksnationaler Politikprofessor, bereits Erwartungen. Aber man könne sie immerhin ansprechen.

Dabei gibt es Graubereiche, über die in der Öffentlichkeit nicht viel bekannt wird. Der stete Strom von türkischen Beamten etwa – viele Lehrer sind darunter –, die über die Landesgrenze am Evros-Fluss flüchten und in Griechenland um Asyl ansuchen. Sie werden in der Türkei in der Regel als Anhänger der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen verdächtigt oder bereits von der Justiz verfolgt. Athens Linie ist hier nicht ganz eindeutig. Im Mai wurde der Fall eines türkischen Investigativjournalisten bekannt, der gegen seinen Willen von nicht ausgewiesenen griechischen Sicherheitsleuten wieder zur türkischen Flussseite zurückgebracht wurde. Murat Capan verbüßt nun eine langjährige Haftstrafe. Der griechische Ombudsmann leitete eine eigene Untersuchung des Vorfalls ein. Ein Ergebnis gibt es bisher nicht.

Der Flüchtlingsdeal funktioniert kaum

Die Flüchtlinge auf den Ägäisinseln sind das andere große Problem. Seit September sind die Ankunftszahlen deutlich gestiegen. Die türkische Küstenwache kooperiert weiter gemäß dem Abkommen zwischen der Türkei und der EU vom März 2016 und fängt Migranten auf ihrem Weg zu den griechischen Inseln ab. Doch die Abschiebung abgelehnter Asylwerber in die Türkei läuft nach wie vor nur in sehr geringem Umfang. 46 Menschen waren es im November, knapp 3.000 aber dürften mittlerweile in zweiter Instanz abgelehnt und damit "abschiebbar" sein. Ein Teil dieser Migranten ist offenbar nicht mehr auffindbar, und politisch scheint es ebenfalls Vorbehalte zu geben: Die Türkei wird nicht uneingeschränkt als "sicherer Drittstaat" gesehen, wie im Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei festgehalten. Das Abkommen steht auf tönernen Füßen.

Erdoğan wird am Donnerstag zunächst dem konservativen Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos einen Höflichkeitsbesuch abstatten und dann ein Haus weiter zu Alexis Tsipras in der Villa Maximou gehen. 200 Leibwächter soll der türkische Staatsgast dabeihaben. U-Bahn-Stationen und Straßen im Athener Zentrum sind schon seit Mittwoch fallweise gesperrt. Am Freitag reist Erdoğan zur türkischen Minderheit in die nordgriechische Provinz Thrakien. Sie lebt in und um die Städte Komotini und Xanthi. Dass während Erdoğans Besuch dort keine türkische Flagge gehisst wird, war eine der Vorgaben der griechischen Seite. (Markus Bernath aus Athen, 6.12.2017)