Das Russische Olympische Komitee (im Bild der Sitz in Moskau) ist für die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang gesperrt.

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Die russische Führung geht nicht auf absoluten Konfrontationskurs zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC): "Wir werden ohne jeden Zweifel keine Blockade erklären und unsere Olympioniken nicht daran hindern, an den Spielen teilzunehmen, wenn das jemand als Einzelperson will", sagte Wladimir Putin bei einem Treffen mit Arbeitern des Automobilwerks Gaz, bei dem er zugleich seine Präsidentschaftskandidatur bekanntgab.

Eigentlich war Putins Stellungnahme bereits Stunden zuvor bei einem Kongress der russischen Freiwilligenbewegung erwartet worden. Doch seinen Auftritt im Moskauer Sportpalast nutzte er zur Stimmungsmache für seine Präsidentenkampagne, nicht aber – wie von vielen Beobachtern prophezeit – zu einer Generalabrechnung mit dem IOC und einem Boykottaufruf.

Erniedrigung

Schon zuvor hatte der Kreml die in Moskau nach dem Urteil aufgeheizte Stimmung zu beschwichtigen versucht: Der erzwungene Verzicht auf Flagge und Nationalhymne wird in Russland als Kränkung und Erniedrigung aufgefasst. Dementsprechend waren erste Reaktionen aus der russischen Politik scharf. Viele Stimmen forderten einen vollständigen Boykott der Spiele.

Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow kündigte am Mittwochmorgen bereits an, keine tschetschenischen Sportler unter neutraler Flagge in Südkorea starten zu lassen. Auch mehrere Duma-Abgeordnete forderten aus patriotischen Gründen einen Verzicht. Eine offizielle Erklärung will das Parlament aber erst am Freitag abgeben – womöglich auf Intervention des Kremls.

Denn Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte schon vor Putin dazu aufgerufen, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Es gehe jetzt nicht um Bestrafungen Verantwortlicher oder einer Abkehr vom IOC. "In erster Linie ist es nötig, sich auf den Schutz der Interessen russischer Athleten zu konzentrieren", sagte er.

Sanktionen halb so schlimm

Die Entscheidung fällt dem Kreml nicht leicht, denn der Ausschluss einer ganzen Nationalmannschaft wegen Dopingvergehens bei Olympia ist beispiellos. Doch in Moskau hat man inzwischen offenbar die Vor- und Nachteile der Entscheidungen abgewogen und die Sanktionen nicht mehr als ganz so drückend wie im ersten Moment eingestuft.

Das Staatsfernsehen, welches zuvor den gesamten Dopingskandal und das Urteil als westliche Verschwörung gegen Russland eingestuft hat, sieht nun den Willen des IOC, einen Schlussstrich unter die Affäre zu ziehen. Die Bezeichnung "Olympischer Athlet aus Russland" (OAR), unter der die Russen starten dürfen, sei prinzipiell wichtig für Moskau gewesen, erklärte der russische NOK-Chef Alexander Schukow. Zudem habe Russland die Zusage, dass es bei der Abschlussfeier wieder dabei sein dürfe, wenn es keine weiteren Skandale gebe. Nach Olympia seien dann keine weiteren Sanktionen mehr zu fürchten.

Am Ende überwog diese Einsicht wohl gegenüber dem gekränkten Stolz. Ein Boykott hätte laut Sportkommentator Dmitri Gubernjew für Moskau die Gefahr bedeutet, auch bei den wichtigeren Sommerspielen 2020 in Tokio nur Zuschauer zu sein.

Über die prinzipielle Teilnahme der Athleten will der Verband kommende Woche abstimmen. Der erste russische Sportler hat schon zugesagt, unter neutraler Flagge zu starten – ironischerweise handelt es sich um den eingebürgerten Shorttrack-Olympiasieger Viktor An. (André Ballin aus Moskau, 6.12.2017)