Wien – Gespenster buhlen im Gegenwartskino meist mit äußerlichen Reizen um Aufmerksamkeit. Sie changieren zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit, morphen von einer Gestalt in die andere oder enthüllen schlagartig grauenhafte Mäuler und Ähnliches. Nicht so das Gespenst aus A Ghost Story: Es handelt sich, wenn man so will, um einen Klassiker. Fast wie zu Halloween.

Metaphysisches Drama mit unsichtbarem Gast: Rooney Mara spielt in David Lowerys "A Ghost Story" eine trauernde Frau, die ihren Mann bei einem Autounfall verloren hat.
Foto: Universal

Weißes Leintuch, zwei große ovale Löcher als Augen, das ist alles. Wenn es sich das erste Mal aufrichtet, von einem Totenbett im Krankenhaus, und dann langsam durch den Gang schleicht, um seinen Weg nach Hause anzutreten, weckt es ein überraschendes Gefühl: Mitleid.

A Ghost Story, geschrieben und inszeniert von dem texanischen Regisseur David Lowery, ist ein in jeder Hinsicht verblüffender Film, voller widersprüchlicher Tonlagen, ungewöhnlicher Einfälle, unbändiger Gefühle. Wer einen gängigen Gruselfilm erwartet, wird enttäuscht sein, denn der Schrecken entsteigt hier keinem inszenatorischen Kalkül.

Vielmehr geht es Lowery um einen Akt der Entgrenzung, den schon Sigmund Freud im Sinn hatte, als er das Unheimliche als eine Bewegung zwischen dem Vertrauten und Unvertrauten beschrieb. A Ghost Story blickt mit den Augen eines Toten auf das Leben, an dem er keinen Anteil mehr haben kann. Damit rückt der Film mehr in Richtung einer Meditation über den Schmerz jedes endgültigen Verlusts. Er stellt die Frage nach dem Erinnern und Vergessen, ja dem Verhängnis alles Lebens überhaupt, der unumstößlichen Endlichkeit.

Die Grundkonstellation des Films ist nach einem kurzen Prolog schnell etabliert. Glaubt man anfangs noch, mit einem namenlosen Pärchen (Rooney Mara und Casey Affleck) in einem kleinen Landhaus gelandet zu sein, in dem ein nächtlicher Unruhestifter haust, so nimmt der Film früh eine irritierende Wendung. Am Ende einer der vielen kunstvoll verzögerten Szenen, die dem Zuschauer das Gefühl von Zeit in die Hände legen, sehen wir den Mann tot am Steuer seines Wagens.

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Von da an nimmt der schon beim Sundance-Festival Anfang 2017 viel beachtete Film eine kontemplative Beobachterposition ein, die ihn fast wie eine experimentelle Arbeit erscheinen lässt. Der Mann kehrt als nur für uns Zuschauer sichtbares Gespenst in sein vertrautes Heim zurück. Starr wie ein Pilz steht er im Raum und geht durch Wände, er sieht, was er nicht mehr sehen sollte: eine Welt, in der er gleichsam den Stachel der Leere verkörpert. Es ist ein durchaus waghalsiges Regiemanöver, das Lowery bravourös exekutiert. Die Naivität, die dieser Idee des Wiedergängertums anhaftet, wird ihm zum Geschenk, um ein existenzielles Drama sukzessive in kosmische Bereiche zu erweitern.

Wenn die von Trauer gelähmte Frau nicht mehr aufhört, einen Kuchen in sich hineinzulöffeln, und dabei das Gespenst im Hintergrund unscharf auszumachen ist, dann bewegt sich A Ghost Story noch im Bereich des Melodrams, das eine Differenz aufscheinen lässt. Doch die Fabel des langsamen, wehmütigen Abschieds ist nur die erste Ebene dieses Szenarios, das Lowery auf noch viel unwägbareres Terrain erweitert. Die Frau zieht aus, und das Gespenst bleibt allein im Haus zurück – mehr sei hier gar nicht gesagt.

Was am Ende übrigbleibt

Der Film geht von diesem Moment an noch eine ganze Weile weiter, und er schert sich um keine Regeln von Kontinuität und Plausibilität mehr. Vielmehr meint man, auf einem Möbiusband durch historische Settings zu laufen, in denen sich das menschliche Drama des Unbehaustseins auf bildliche Weise immerzu wiederholt. Das verbindende Motiv bleibt Vergänglichkeit. Lowery versinnbildlicht es intuitiv mit zwei Augen, eigentlich Löchern in einem Leintuch, die das Vergessen fürchten. Immer wieder verfallen die Settings und die Körper zu Staub.

In einer der überdrehtesten Szene zieht eine Nacht lang eine Partygesellschaft ins Haus. Country-Kauz Will Oldham spielt einen der Gäste, der eine nicht enden wollende Rede über den Antrieb zur Kunst hält und darüber, dass auch Beethoven mit seiner Musik nur das Grauen vor dem Nichts bannen wollte. Den gleichen Gestus findet man in Lowerys wunderbar elegischem Film. (Dominik Kamalzadeh, 7.12.2017)