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Unter den Victoria Tower Gardens in London soll nach Plänen der britischen Regierung bald ein Museum entstehen.

Foto: REUTERS/Luke MacGregor

Victoria Tower Gardens gehört zu den eher unbekannten Sehenswürdigkeiten Londons. Der kleine Park mit alten Bäumen schließt südlich an den Palast von Westminster an, stellt also für Abgeordnete und Mitarbeiter des britischen Parlaments ebenso wie Angestellte der nahe gelegenen Büros eine wichtige grüne Oase dar.

Mit der innerstädtischen Idylle soll es nach Plänen der britischen Regierung bald vorbei sein. Umgerechnet 56 Millionen Euro werden in den kommenden drei Jahren ausgegeben, um den kleinen Park umzugraben. Am Ende erlebt Großbritannien 2021 "Architektur als Emotion", wie es Chefplaner David Adjaye formuliert: ein zentrales Museum zum Gedenken an den Holocaust.

Wettbewerb um Museum

Von der regierungsnahen Stiftung UKHMF wurde ein Wettbewerb veranstaltet, siegreich blieb das Adjaye-Team, bestehend aus dem britischen Architekten ghanaischer Abstammung, dem in London lebenden israelischen Designer Ron Arad und der Gartenbaufirma Gustafson Porter + Bowman. Deren Idee sieht vor, den kleinen Park an einer Seite anzuheben wie einen Teppich. Im Untergrund soll ein Museum Platz finden. Über der Erde ragen meterhoch 23 zerklüftete Flügel aus Stahl. Die engen Zwischenräume münden in die Treppe zum Museum; sie repräsentieren jene Staaten, in denen Juden, Roma und Sinti sowie Behinderte systematisch ermordet wurden.

Die Brexit-Insel also als Schutzmacht der Naziopfer Europas – soll da am britischen Gedenkwesen die Welt genesen? Warum Großbritannien das Museum braucht und warum es unbedingt an diesem Ort, im Schatten des Parlaments von Westminster, stehen muss, darauf gibt es unterschiedlich geschickte Antworten. Resultat des Denkmals werde sein, so die Überzeugung des britischen Chefrabbiners Ephraim Mirvis, "dass wir Briten niemals vergessen, was während des Holocausts geschah". Londons Bürgermeister Sadiq Khan sieht in dem Bau den Beweis dafür, dass "Vielfalt eine Stärke ist, keine Schwäche". Der damalige Premierminister David Cameron sprach 2016 bei der Vorstellung des Designwettbewerbs von einer "dauerhaften Feststellung der Werte unserer Nation".

Wesentlicher Unterschied

Das klingt merkwürdig nach Eigenlob und ist wohl eine Anspielung darauf, was Großbritannien einmal war, nämlich Zufluchtsort für Menschen aus aller Welt, nicht zuletzt aus Deutschland. Freilich gibt es einen großen Unterschied zu vielen anderen europäischen Ländern: Großbritannien wurde nicht von den Nazis besetzt, geriet also auch nicht in das moralische Dilemma, die eigenen Bürger jüdischer Abstammung auszuliefern oder nicht. Was die heutige Haltung zu Flüchtlingen angeht, unterscheiden sich offizielle Stellen kaum von der martialischen Rhetorik mitteleuropäischer Rechtspopulisten: Die Rede ist gern von "marodierenden Migranten", die "ins Land einbrechen" wollen.

Insofern bleibt etwas unklar, inwiefern "das neue Denkmal auch von der Gegenwart" handelt, wie Peter Bazalgette, Leiter des Organisationskomitees, beteuert: "Erinnerung ist nicht genug." Solche Sätze kommen den britischen PR-Weltmeistern allemal über die Lippen; Chefarchitekt Adjaye spricht denn auch von einem "Park des britischen Gewissens".

Kritik an Baumaßnahmen

Ob freilich am Ende der umfangreichen Baumaßnahmen von einem Park überhaupt noch die Rede sein kann, bezweifeln eine Reihe von Anrainern und interessierten Londonern. Dutzende Parlamentsabgeordnete haben einen Brief unterzeichnet, in dem der Regierung dringend von dem Projekt an dieser Stelle abgeraten wird. Es handle sich um "den falschen Entwurf am falschen Ort", glaubt die Labour-Baronin Patricia Hollis. Der konservative Parlamentarier Peter Bottomley verweist auch gleich auf eine geeignetere Location: Das kaum mehr als einen Kilometer entfernte Imperial War Museum habe schließlich nicht nur eine permanente Holocaustausstellung, sondern auch genügend Platz für ein zusätzliches Denkmal. (Sebastian Borger, 11.12.2017)