Simeoni bei der Stimmabgabe.

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Emmanuel Macron beobachtet die Vorgänge ganz im Süden Frankreichs sehr genau: Auf Korsika erstarkte in den vergangenen Jahren eine Autonomiebewegung, die nichts mehr zu tun haben will mit ihren Vorgängern, die mit Bomben und Attentaten Politik machen wollten. Sie machten es damit dem Zentralstaat sehr leicht, auf Repression zu setzen – und dafür breite Zustimmung zu erhalten.

Die "neuen" korsischen Autonomisten, allen voran ihre Fahnenträger Gilles Simeoni und Jean-Guy Talamoni, setzen hingegen auf eine Strategie, die keine offene Feindschaft mit Paris pflegt und gerade deshalb schrittweise zu Erfolgen führen soll – sollte es auch sehr lange dauern. Ähnlich wie im Baskenland oder (schon Jahrzehnte zurückliegend) in Südtirol sieht man in der Abkehr von Gewalt und in der Förderung eines mit Selbstbewusstsein betriebenen Diskurses eher ein Mittel zum Erfolg – prinzipiell eine kluge, auch zeitgemäße Strategie.

Der Wahlerfolg für die korsischen Autonomisten gibt ihren Masterminds recht: Paris muss sich endlich ernsthaft mit ihren demokratisch legitimierten Forderungen auseinandersetzen und da und dort einlenken – oder zumindest glaubwürdige Gesprächsbereitschaft signalisieren.

Man darf davon ausgehen, dass auch ein Mann in Brüssel diese Entwicklung ganz genau beobachten wird: Carles Puigdemont, der nach der Unabhängigkeitserklärung Kataloniens von der spanischen Zentralregierung abgesetzte und nach Belgien geflüchtete Regierungschef der Region im Nordosten Spaniens.

Keine Unterstützung von außen

Geografisch mögen sie fast Nachbarn sein, tatsächlich trennen Simeoni und Puigdemont aber Welten. Während der Korse genau weiß, dass seine Region nicht allein auf den Tourismus setzen kann, um zu überleben, denkt der Katalane, dass seine wohlhabende Region als Republik reüssieren kann.

Simeoni setzt auf eine Ausweitung der Autonomie – Puigdemont glaubte hingegen, sich mit einem illegalen Referendum die Lizenz zur Ausrufung der Unabhängigkeit zu holen. Er scheiterte. Puigdemont irrte sich auch, als er dachte, durch seine Flucht nach Brüssel ebendort eine europaweite Bühne für sein Anliegen zu bekommen. Sollte es auch in EU-Regierungen vereinzelt Sympathien für Puigdemont und Co gegeben haben: Eine Unterstützung von außen kam politisch nie infrage – nicht in Ländern, die selbst alle Hände voll zu tun haben, die Integrität ihres Nationalstaates zu bewahren.

Das kann Spanien nicht zulassen, nicht ohne die Basken wieder auf den Plan zu rufen. Das kann sich auch Belgien selbst nicht erlauben, wo Flandern ebenfalls nach Unabhängigkeit und die Wallonie Richtung Frankreich strebt. Ebenso wenig Italien mit gleich mehreren Hotspots. Und Großbritannien – egal, ob man bei der EU dabei sein wird oder nicht – schon gar nicht. Schon jetzt rumort es wegen der Brexit-Verhandlungen um die irische Grenze deutlich hörbar. Und auch in Schottland und Wales räuspert man sich vernehmlich.

Aber auch außerhalb der EU sorgen die Verhältnisse etwa auf dem Westbalkan oder in der Ukraine nicht gerade für Bedingungen, unter denen man Sezessionsbestrebungen in anderen Teilen Europas gutheißen könnte.

Insofern setzen die Korsen auf eine clevere Strategie: mehr Autonomie in Schritten, ohne Paris das Gefühl des eigenen Kontrollverlusts zu vermitteln. Es mag ein steiniger, langwieriger Weg sein – aber einer, der vielleicht sogar zum Ziel führt. (Gianluca Wallisch, 11.12.2017)