Brauchtum fasziniert ebenso wie es immer wieder Gegenstand von Diskussionen ist. Traditionen, Überlieferungen und zugeschriebene Beständigkeit liefern die Basis für seine Entstehung, aber auch seine Veränderung. Wie auch in der Auseinandersetzung mit der Figur des Krampus, die vergangene Woche hier im Religionswissenschaftsblog behandelt wurde, zeigt sich dies auch für das Brauchtum um den Tag des 13. Dezembers. 

Am 13. Dezember wird der Namenstag der christlichen Märtyrerin Lucia von Syrakus gefeiert, von deren Leben nur Fragmente bekannt sind. Zahlreiche unterschiedliche Bräuche werden vor allem in Skandinavien sowohl mit dem Tag des 13. Dezembers, als auch mit der Figur der Heiligen Lucia in Verbindung gebracht. Dabei muss vor allem zwischen zwei Traditionen unterschieden werden: Einerseits den heutigen Bräuchen um das Luciafest, in der eine weiß gekleidete Gestalt mit Kerzen auftritt, und andererseits den Sagen und Erzählungen der bäuerlich-ländlichen Regionen über unheimliche Wesen, die in der Dunkelheit des 13. Dezembers ihr Unwesen trieben.

Beim Luciafest tragen alle Prozessionsbeteiligten traditionell weiße Kleidung.
Foto: APA/AFP/OLI SCARFF

Lussi und die Trolle

In Norwegen galt die Nacht zum 13. Dezember lange Zeit als besonders gefährlich, da alle möglichen Wesen aus der Unterwelt, darunter auch eine Gestalt namens Lussi, durch die Nacht zogen. Auch in Schweden sind Berichte aus dem 17. und 18. Jahrhundert erhalten, die von Bräuchen rund um diesen Tag erzählen. Mit der Figur der Lussi wurden dabei in Erzählungen auch Assoziationen zu Lilith oder Lucifer entwickelt, die jedoch keine nachweisbare Grundlage haben.

Die Sagen dieser Zeit sind oftmals mit jahreszeitlichen Aspekten, wie dem Abschluss der Vorbereitungen für den Winter, verbunden. In vielen Geschichten kontrolliert Lussi gemeinsam mit Hexen, Wichteln, Trollen und Nisse, ob alle Vorbereitungen für Weihnachten ordnungsgemäß begonnen haben, und wollen insbesondere von dem schon gebrauten Weihnachtsbier sowie dem Weihnachtsgebäck probieren. 

Das Bild "Julereia" von Nils Bergslien (1922) zeigt Hexen, Wichtel, Trolle und Nisse.
Foto: Public Domain

Weiße Kleider, brennender Kerzenkranz

Heute wird das Luciafest-Stereotyp vor allem mit jungen blonden Mädchen in weißen Gewändern und einem leuchtenden Kerzenkranz assoziiert. Die Darstellerin der Heiligen Lucia trägt dabei, wie die anderen Teilnehmerinnen der Prozession auch, ein weißes Gewand. Ihr Kopf jedoch wird gekrönt von einer Lichter- beziehungsweise Kerzenkrone. Lucia und die anderen Teilnehmer der Prozession singen gemeinsam Weihnachtslieder, so wie das bekannteste Lied des Feiertages "Sankta Lucia".

Und auch das traditionell mit Safran gebackene Germgebäck "Lussekatter", die Luciakatzen, gehört zu den Feierlichkeiten am Luciatag dazu. Bereits in den frühen Morgenstunden beginnt das Fest traditionell mit einem Frühstück und wird bis zum Abend in Form von Konzerten weitergeführt.

Patric Jernberg

Wie bei vielen anderen Bräuchen, lässt sich der Ursprung des heute gelebten Brauchtums viel weniger weit zurückverfolgen, als vielleicht angenommen. Der Brauch des Luciafestes in Schweden, wie es in seiner heutigen Form gefeiert wird, hat seinen Ursprung in der Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Die erste erwähnte weiß gekleidete Lucia mit Lichterkranz ist erst aus der Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt. Interessant hierbei ist, dass diese Lucia-Gestalt von einem jungen Mann verkörpert wurde.

Ausgehend von Westschweden breitete sich das Brauchtum bald in ganz Schweden aus und ist heute auch in den anderen skandinavischen Ländern zu finden. Darüber hinaus wanderte es, wie viele andere Bräuche auch, mit Emigranten in andere Länder und ist so heute ebenfalls in den USA oder Kanada zu finden.

Nur die Darstellerin der Heiligen Lucia trägt einen Kerzenkranz auf dem Kopf.
Foto: REUTERS

"Sankta Lucia"

Auch die Grundlage für das bekannteste Lied des Festtages, "Sankta Lucia", hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Das gleichnamige italienische Volkslied "Santa Lucia" wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Teodore Cottreau aus dem neopolitanischen Dialekt ins Italienische übersetzt. Im italienischen Lied "Santa Lucia" wird die malerische Landschaft und das Meer der Region Napolis sowie der Stadtteil Santa Lucia besungen.

"Sul Mare lucia, L'astro d'argento, Placida e l'onda, Prospero e il vento. Venite al l'agile, Barchetta mia, Santa Lucia! Santa Lucia!"

Die älteste Version des schwedischen Textes von "Sankta Lucia" stammt aus dem Jahr 1919 und entstand durch Sigrid Elmblad. Elmblad übersetzte das Lied nur im weitesten Sinne, indem sie einfach einen neuen Text zur Melodie schrieb.

"Sankta Lucia, ljusklara hägring, sprid i vår vinternatt glans av din fägring. Drömmar med vingesus under oss sia, tänd dina vita ljus, Sankta Lucia."

Ins Englische übersetzt etwa:

"Saint Lucia, bright illusion, spread in our winter night, a glimmer of your beauty.
Dreams of wings rustling over us in prophesy, light your white candles, Saint Lucia."

Brauchtum und Diskussion

Durch die schwedische Presse erfuhr die heute verbreitete Form des Brauchtums Ende der 1920er-Jahre einen Aufschwung, als eine schwedische Tageszeitung 1927 die erste öffentliche Lucia-Prozession sowie eine Wahl für die geeignetste Lucia-Darstellerin veranstaltete. Hierbei zeigt sich verstärkt eine folkloristische Inszenierung, die sich auch heute noch im medialen Interesse und dem öffentlichen Aufwand um den Festtag widerspiegelt. Am Abend des 13. Dezembers werden im ganzen Land Konzerte veranstaltet, und auch der öffentlich-rechtliche schwedische Fernsehsender "SVT" überträgt jährlich die Feierlichkeiten um den Luciatag.

Phantom Bagpiper
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Videos zu den Lucia-Festen in Schweden und Finnland. 

Das Luciafest wird heute in ganz Skandinavien in unterschiedlichem Ausmaß im öffentlichen wie auch im privaten Raum gefeiert. Vielerorts sind singende Prozessionen zu sehen und besonders die Wahl des Mädchens, das diese Prozession anführt und die Heilige Lucia verkörpern darf, haben mittlerweile eine zentrale Rolle im Brauchtum eingenommen.

Die gewählte Lucia tritt im kommenden Jahr nach ihrer Wahl als Repräsentantin der Region oder Gemeinde auf. Und so ist die Frage, wer die nächste Lucia sein wird, natürlich auch eine zentrale in der skandinavischen Öffentlichkeit.

Die Heilige Lucia singt auch die Hauptstimme in den Weihnachtsliedern.
Foto: APA/AFP/OLI SCARFF

Gerade in der Festschreibung des Brauchtums auf angebliche und "weitzurückreichende" Ursprünge und Traditionen, wird jedoch immer wieder auch eine Diskussion angeheizt. Dies zeigt sich zum Beispiel in öffentlichen Debatten in Schweden, die sich um die Umsetzung des Brauchtums im Allgemeinen beziehungsweise um die Darstellung der Lucia in Bezug auf Hautfarbe oder Geschlecht drehen.

Eine Fixierung des Brauchtums auf eine einzige und angeblich "richtige" Form ist dabei genauso wenig möglich, wie dies bei anderen kulturellen oder sozialen Phänomenen der Fall sein kann. Und so wird die Veränderung von Brauchtum – von der Konservierung in einer bestimmten Form bis hin zur Befürwortung von Weiterentwicklung und Anpassung an aktuelle Lebenswelten – weiterhin Teil der Diskussion bleiben. (Lisa Kienzl, 13.12.2017)