Hauptdarsteller Ben kann seinen Alltag nur mit Hilfe bewältigen.

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245. Aus so vielen Quadraten besteht die Lampe über Bens Krankenbett. Er hat sie gezählt, während er tagelang reglos in seinem Bett lag. Reglos, weil er sich nicht mehr bewegen kann. Ben hatte einen Unfall, ist nun Tetraplegiker. Dabei handelt es sich um eine Form der Querschnittlähmung, bei der sowohl Beine als auch Arme betroffen sind. Es sind Bens erste Stunden nach seinem Unfall, die er bei Bewusstsein ist.

Ben ist der Hauptdarsteller des französischen Films "Lieber leben", der seit Donnerstag in österreichischen Kinos zu sehen ist. Darin bekommt der Zuseher Einblick in eine Welt, in der jede kleinste Bewegung als großer Erfolg gefeiert wird.

Diese Welt ist auch neu für Ben. Er muss lernen, mit seiner Hilflosigkeit umzugehen und geduldiger zu werden. Denn bei allem, was er tut, braucht er Unterstützung. Wenn ihm nachts kalt ist, kann er sich die Decke nicht selbst hochziehen, zum Waschen wird er auf eine Trage gelegt, will er mit seinen Freunden telefonieren, muss eine Pflegerin ihm das Telefon ans Ohr halten.

Wahrheitsgemäße Darstellung

Dabei lernt der Zuseher auch, wie der Alltag von Querschnittgelähmten aussieht und wie Rehabilitation funktioniert. Die Darstellungen im Film seien durchaus realistisch, sagt Josef Steiner, Pflegedirektor des Rehabilitationszentrums Häring in Tirol. So bekommt Ben etwa Anti-Dekubitus-Schuhe gegen Druckstellen an den Fersen, einen Gurt, der Druck auf das Zwerchfell ausübt, um die Bauchmuskulatur zu unterstützen, und eine Gabel an die Hand geschnallt, um damit besser essen zu können. "Diese Hilfsmittel verwenden auch wir in der Rehabilitation", sagt Steiner.

Dennoch erzählt der Film auch eine Geschichte von Hilflosigkeit. Sie wird etwa in jener Szene deutlich, in der Bens Rollstuhl streikt. Er sitzt in seinem Zimmer, ruft nach Hilfe, muss darauf warten, dass jemand ihn hört und ihm hilft.

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Trotz allem behält der Protagonist seinen Humor, findet Freunde in der Zeit seiner Rehabilitation. "Lieber leben" ist auch ein amüsanter Film. "Ich habe vier Wochen auf dem Bauch bekommen", sagt ein ebenfalls gelähmter Patient, der auf dem Bauch liegend mit seinem Krankenbett in Bens Zimmer geschoben wird, um ihn zu begrüßen. Ebenfalls eine Maßnahme gegen Druckstellen, erklärt Steiner. "Die Patienten anders zu lagern, etwa auf den Bauch, beugt aber auch Spastiken vor. Außerdem verbringen sie viel Zeit im Sitzen, also mit gebeugter Hüfte. In der Bauchlage kann der Körper sich zwischendurch ausdehnen."

Mit Humor bewältigen

Der Film zeigt: In dieser Lebenslage sind Witze über Behinderung erlaubt, ja sogar notwendig, um die Tragik der Situation zu bewältigen. Beim gemeinsamen Mittagessen lacht die Gruppe über die Frisur eines Freundes, einer rät ihm: "Wenn schon der Körper Schrott ist, achte wenigstens auf deine Frisur." Und als ein an Beinen und Armen vollständig gelähmter Patient aus der Gruppe die Reha verlässt, sagen sie zum Abschied: "Vergiss uns nicht, von Zeit zu Zeit solltest du uns schreiben." Die Freunde nehmen es mit Humor.

"Betroffene haben ganz unterschiedliche Zugänge, mit solchen Schicksalsschlägen umzugehen. Von am Boden zerstört bis zur bewussten Aneignung von schwarzem Humor ist alles dabei", bestätigt Steiner. Humor helfe oft dabei, den Alltag zu meistern.

Hauptdarsteller Ben macht gute Fortschritte, findet langsam in eine Selbstständigkeit zurück. Einige seiner Freunde im Reha-Zentrum haben weniger Glück. "Die Aussichten für Tetraplegiker sind, je nach Grad der Lähmung, so unterschiedlich wie die Patienten selbst", sagt Steiner. Insofern ist – auch in diesem Punkt – "Lieber leben" eine Momentaufnahme aus dem echten Leben. (Bernadette Redl, 14.12.2017)