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Natürlich kann man über eine Wahrheit nicht demokratisch abstimmen. Auch wenn wir uns mehrheitlich einigen, dass die Erde eine Scheibe ist, lässt sie sich von einem Punkt aus in zwei Richtungen umrunden, die jeweils parallel zur Oberfläche sind und zueinander im rechten Winkel stehen. Wie man das auf einer Scheibe machen soll, hat dann sicher Erklärungsbedarf.

Oft ist es aber schwierig zu erkennen, was nun eine Wahrheit ist, und was nicht. Ich möchte keinen Menschen verurteilen, der eine Wahrheit nicht als solche erkennen kann. In vielen Fällen gibt es kein objektives Korrektiv – eine Mehrheitsmeinung oder eine besonders laute Meinung kann jedenfalls kein solches objektives Korrektiv sein. Also nehme ich seiner Eminenz Kardinal Christoph Schönborn nicht übel, wenn er die "Ehe für alle" als Fehler betrachtet – ich kann nicht beurteilen, ob er Recht hat.

Glauben an das Besondere

Spannend finde ich, dass es Homosexuelle gibt, die diese Ehe wollen. Gerade das vergangene Jahrhundert hat große gesellschaftliche Veränderungen gebracht, die die Ehe in vieler Hinsicht unnötig machen – außer eben für Menschen, die an das Besondere der Ehe – worin das auch immer liegen mag – glauben. Und es gibt Homosexuelle, die an ebendieses Besondere glauben, sonst würden sie die Ehe nicht für sich wünschen.

Es scheint sich dabei um eine christlich-sozial sozialisierte Klientel zu handeln. Man muss also sehr von der Wahrheit überzeugt sein, wenn man gerade der eigenen Zielgruppe so vehement ihr Anliegen verwehrt.

Ein Machtverlust

Trotzdem glaube ich, dass es vielen nicht um diese Wahrheitsfrage geht. Ich unterstelle eine Angst. Eine Angst, dass Macht verloren gegangen sein könnte, dadurch, dass die Ehe nicht mehr nötig ist. Dadurch, dass unehelich geborene Kinder bei uns durchaus eine Zukunft haben. Eine Angst davor, dass unverheiratet Schwangere nicht mehr prinzipiell verstoßen werden – ohne jegliche Chance auf einen Mann, der sie trotzdem nimmt, und ohne jegliche Chance auf Arbeit, und selbstverständlich ohne jegliche soziale Absicherung. Da ist doch etwas verloren gegangen.

Und im Kampf gegen eine Minderheit lebt dann der Traum von der guten alten Zeit wieder auf. Wie im Dritten Reich. Wie im Falkland-Krieg. Auch Präsident Donald Trump zeigt das in den USA gerade vor: "Make America Great Again". (Georg Deutscher, 21.12.2017)