Wien – Das Interessanteste erfährt man in Strafprozessen bedauerlicherweise manchmal nicht. Wie im Fall des 17-jährigen Adam A., der im August in zwei Wochen fünfmal straffällig geworden sein soll, wie ihm die Staatsanwältin vorwirft. Der junge Mann ist unbescholten, was ihn zwischen dem 13. und dem 27. August dazu bewogen hat, unter anderem einen Raub zu versuchen, mit einer Eisenstange ein Lokal zu attackieren und mit dem gestohlenen Kennzeichen eines Polizeifahrzeuges in der U-Bahn zu hantieren, bleibt offen.

Sicher scheint, dass A. frustriert gewesen sein muss. Die Schule hat er abgebrochen, erst im Jänner soll er eine Lehrstelle bekommen. Mit der Jugendgerichtshilfe wollte der Tschetschene aber nicht wirklich über seine Gemütslage reden, verliest Daniel Schmitzberger, Vorsitzender des Schöffengerichtes. Auch im Verhandlungssaal ist A. eher wortkarg.

Beispielsweise beim Vorwurf, er habe am 27. August in einem Einkaufszentrum in Wien-Donaustadt mit einem unbekannten Mittäter versucht, einem 18-Jährigen die Uhr vom Handgelenk zu reißen. Als sich das Opfer wehrte, versetzte A. ihm eine Ohrfeige, der Mittäter einen Faustschlag.

Verdrehter Arm auf Überwachungsvideo

"Erinnern Sie sich daran?", fragt Schmitzberger. "Eigentlich nicht. Ich habe getrunken und wollte mir die Uhr anschauen, aber ich wollte sie nicht nehmen." – "Und dann wollten Sie sie sich auch von hinten anschauen? Oder warum drehen Sie ihm den Arm um, wie man auf dem Überwachungsvideo sieht?" – A. schweigt.

Überhaupt, das Konzept der Videoüberwachung scheint dem Angeklagten fremd zu sein. Am 13. August wurde er nämlich von den Kameras in einem U-Bahn-Wagon erfasst. Er hantierte mit der Kennzeichentafel eines Polizeifahrzeuges und fotografiert einen anderen damit. Die Polizei glaubt, es sei Zweitangeklagter M., der das bestreitet. Auch A. sagt zum Vorwurf der Urkundenunterdrückung, der Mann mit der Tafel sei ihm unbekannt gewesen, er habe nur ein Foto gemacht.

Nächster Anklagepunkt: Am 15. August soll er mit mehreren anderen die Glasfassade einer Disco beschädigt haben. "Weiß ich auch nicht so. Ich kann mich nicht mehr erinnern", sagt A. dazu, der von mehreren Türstehern eindeutig identifiziert wird.

Eisenstange, Flaschen, Fahrradsattel

Offenbar war ein Freund zuvor aus dem Lokal geschmissen worden, "das war quasi die Rache", formuliert es der Geschäftsführer des Lokals. Die wurde definitiv nicht kalt serviert – eine heranstürmende Gruppe von vier oder fünf Jugendlichen, bewaffnet mit Eisenstangen, Flaschen und einem Fahrradsattel, erschreckte die durchaus imposanten Türsteher so sehr, dass die sich im Lokal verbarrikadierten.

Zweitangeklagter M. soll auch dabei gewesen sein, beteuert aber, an diesem Abend in einem ganz anderen Bezirk unterwegs gewesen zu sein. Tatsächlich will ihn nur ein einziger von mehreren Zeugen wiedererkennen, der Rest ist sich nicht sicher oder sagt, M. sei nicht vor Ort gewesen.

Kurios ist ein weiterer Vorwurf gegen den Erstangeklagten. Am 24. August soll er in einem Park in Wien-Favoriten recht günstig zu einer Armbanduhr gekommen sein. A. erinnert sich an den Vorfall mit dem 16-jährigen Nikola N. so: "Wir haben normal geredet." – "Und dann hatten Sie plötzlich seine Uhr am Arm?", misstraut der Vorsitzende telekinetischen Kräften. "Nein, er hat sie mir gegeben."

Angebot an jungen Uhrenspender

Ob er sie nun geborgt oder geschenkt hat, ist nicht ganz klar, A. behauptet beides und beteuert auch, dem Teenager seine Handynummer gegeben zu haben. Tatsächlich schrieb der ihm einige Tage später und wollte sie zunächst zurück, ehe er sie ihm doch schenkte. Dokumentiert ist allerdings auch ein Angebot von A. an den edlen Spender: "Wenn Dir jemand Stress macht, ruf an, ich klär das."

"Klingt irgendwie nach einer kleinen Version von Schutzgeld", stellt Schmitzberger fest. A. kann sich überhaupt nicht erklären, wie der Vorsitzende auf diesen Gedanken kommt. "Um was für Hilfe hätte es sich denn handeln sollen?", interessiert auch den Schöffen. "Ich weiß nicht", hört er als Antwort.

Angeklagt ist der Vorfall als Betrug, nach der Schilderung des Opfers wären aber auch andere Delikte denkbar. Denn der 16-Jährige erzählt die Sache so. "Ich war mit Freunden im Park, wir wollten in eine Sishabar gehen. Da waren fünf bis sechs Leute, die wir nicht gekannt haben."

Kein Problem mit Leihgabe

A. habe zu ihm gesagt: "Komm kurz her, zeig mir deine Uhr." N. kam der Aufforderung nach. "Kommt das öfters vor?", wundert sich der Vorsitzende erneut. "Nein. Ich habe mir aber auch nichts gedacht. Auf einmal hat er dann gesagt, er borgt sich die Uhr aus." – "Das war kein Problem für Sie?" – "Nein."

Plötzlich behauptet der Zeuge überhaupt, er habe A. die Uhr sofort geschenkt. "Warum schenken Sie Ihre Uhr her?", steigert sich Schmitzbergers Verwunderung immer weiter. "Seine anderen Freunde haben gefragt, ob wir Geld haben. meine Freunde gaben ihnen ihres. Da habe ich die Uhr hergeschenkt, damit es nicht schimmer wird."

Bei der Polizei schilderte der Teenager, die Tschetschenen hätten gewirkt "wie die Goldenbergbande", eine über 100 Mitglieder umfassende multiethnische Jugendgruppe, deren Anführer 2015 verurteilt wurde. "Was wissen Sie von der Gruppe?", bohrt der Vorsitzende daher nach und findet als Reaktion zunächst längeres Schweigen und schließlich den Satz "Weiß ich nicht."

Am Raub vorbeigeschlittert

Der Zweitangeklagte wird rechtskräftig freigesprochen, A. erhält sechs Monate bedingt, die nicht im Leumundszeugnis aufscheinen. In der Uhrensache sei er "mit Glück an einem weiteren Raub vorbeigeschlittert", begründet Schmitzberger das Urteil. In der Angelegenheit der Nummerntafel gibt es einen Freispruch, da der Senat nicht glaubt, dass A. das Kennzeichen wirklich unterdrücken wollte. "Niemand hier will Ihnen etwas Böses tun, SIE müssen aufpassen, dass Sie keinen Mist mehr bauen", gibt der Vorsitzende A. noch mit auf den Weg. (Michael Möseneder, 18.12.2017)