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Christopher von Deylen vulgo Schiller darf live in Teheran auftreten.

Getty/Hoensch

Progressive Musiklehrer der 1970er-Jahre wussten es sehr zu schätzen, dass man Popmusik auch mit Anspruch und Niveau herstellen konnte. Deutsche Bands dieser Zeit spielten ungerade Taktarten wie 5/4 oder 7/8 und klotzten auf den Synthesizern alles mit Beethoven für Eilige, Wagner für Weicheier und Musenküssen aus dem Dichterhain zu. Im Musikunterricht wurde damit auf die Schüler übergegriffen.

Die Bands gaben sich hochtrabend literarische Namen wie Hoelderlin oder Novalis, Faust oder Wallenstein. Ihre Musik ist heute vergessen.

Schiller nennt sich nun in besagter Tradition ein Musikprojekt des deutschen Elektronikmusikers Christopher von Deylen. Er arbeitete unter anderem auch schon mit den Schmuse-Gruftis Goethes Erben zusammen. Alle wollen sie, dass die deutsche Kultur in der Welt große Aufmerksamkeit genießt und als gute Sache wahrgenommen wird – außer die Toten Hosen werden vom Goethe-Institut in ferne Weltgegenden losgeschickt. Da steckt dann Sadismus dahinter.

Nun also Schiller. Das Musikprojekt des 1970 bei Hamburg geborenen ehemaligen Studenten der Kulturwissenschaften und Studiotechnikers kann man sich ungefähr so vorstellen, wie wenn Lang Lang, Anna Netrebko, Xavier Naidoo und Ben Becker als Gäste mit ihm Clubmusik mit Wohlfühlfaktor, "Schwanensee"-Samples und ein klein wenig Debussy nicht zu anspruchsvoll einspielen würden. Oh, das haben sie ja getan! Bisschen schwülstig, bisschen schlagzeuglastig, bisschen kulturbeflissen, aber mit Schüttel-dein-Haupthaar-Faktor.

Die Arbeiten des medienscheuen, in Berlin arbeitenden Mannes mit einer Vorliebe für die Musik von Acts wie Jean Michel Jarre, Kraftwerk oder Tangerine Dream, der von der ehemaligen Sängerin Annette Humpe (Ideal, Ich+Ich) die Kunst des eingängigen Pop lernte, nennen sich "Polarstern", "Time For Dreams", "Weltreise" oder "Sehnsucht". Sie klingen genau so.

Schiller gibt diese Woche auf Einladung einer iranischen Agentur fünf Konzerte im Festsaal des Innenministeriums in Teheran. Der Iran bewilligt damit erstmals seit der Revolution 1979 Auftritte eines dekadenten Westkünstlers. Noch 2008 wurde der Auftritt des bereits gebuchten Ire Chris de Burgh in Teheran kurzfristig abgesagt. Hat übrigens jemand gewusst, dass Boney M. mit ihrem Moskaugastspiel 1978 den Mauerfall einleiteten und DJ Bobo 1996 in Guangzhou China für den Westen öffnete? (Christian Schachinger, 13.12.2017)