Bild nicht mehr verfügbar.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hat in einem Schreiben die verpflichtende Flüchtlingsumverteilung in der EU als "höchst spaltend" und "unwirksam" bezeichnet.

Foto: REUTERS/Phil Noble

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) kritisierte Tusk für seine Wortwahl.

Foto: APA/AFP/JOHN THYS

So harte Worte hat es zwischen den Staats- und Regierungschefs bei einem EU-Gipfel schon lange nicht mehr gegeben wie am Donnerstag beim letzten Spitzentreffen in diesem Jahr in Brüssel. An der Frage entzündete sich zudem ein aus der Ferne ausgetragener Konflikt in Österreich. Noch-Kanzler Christian Kern kritisierte bei seinem vorerst letzten Gipfel EU-Ratspräsident Donald Tusk, weil dieser die EU-Flüchtlingsquoten in Zweifel gezogen hatte. Sein mutmaßlicher Nachfolger Sebastian Kurz kritisierte via Wortmeldung aus Wien wiederum die Kritik Kerns.

Zunächst aber hatte es außerhalb von Österreich Ärger über Tusk gegeben: Die Vorschläge des Ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk bezüglich der Flüchtlingsfrage seien "planlos, deplatziert und sinnlos", richtete etwa der griechische Premierminister Alexis Tsipras seinen Kollegen schon aus der Ferne aus, bevor er von Athen in die EU-Hauptstadt aufbrach. "Keine Chance", dass das angenommen werde, so Tsipras, dessen Land 2015 von Flüchtlingen auf der Balkanroute besonders betroffen war.

Tusk hatte den EU-Chefs für das Arbeitsabendessen vorgegeben, eine offene "politische Debatte" ohne Beschlüsse zum Thema zu führen. Das Konzept der EU-Kommission für verpflichtende Aufteilung von Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf alle Staaten habe sich als "nicht effizient" herausgestellt – was in EU-Parlament wie -Kommission einen Sturm der Entrüstung auslöste.

Hilfen für Afrika

Kaum weniger deutlich äußerte sich – aus ganz anderen Motiven – der slowakische Regierungschef Robert Fico. Er hatte sich gemeinsam mit seinen Kollegen aus den anderen Visegrádstaaten (Ungarn, Polen, Tschechien) am Rande des Gipfels mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Italiens Premierminister Paolo Gentiloni zusammengesetzt. Ziel war es, in der Quotenfrage eine Annäherung zu erzielen.

Da Ungarn, Polen und Tschechien die Quoten strikt ablehnen und mit der Slowakei für eine "asymmetrische Lastenverteilung" eintreten, hat die Kommission vergangene Woche gegen sie Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingebracht. Beim Vermittlungsversuch sagten die vier Visegrádländer nun zu, dass sie gemeinsam 35 Millionen Euro in den EU-Afrikafonds einzahlen wollen.

Schutz der Außengrenzen

Dazu Fico: "Wir wollen Solidarität zeigen, aber wir weisen Quoten entschieden zurück. Das funktioniert nicht." Die Union müsse viel stärker ihre Außengrenzen schützen, sagte der sozialdemokratische slowakische Premier, "sonst bekommen wir eine Menge Probleme. Es gibt kein Menschenrecht, in die EU zu reisen."

Diese Anregungen von Tusk wies Bundeskanzler Kern "in höchstem Maße" zurück. Man solle sich bei Solidarität mit Flüchtlingen nicht freikaufen dürfen, erklärte er, ohne darauf einzugehen, dass Österreich bisher nur 17 der per Quote zugesagten 1953 Flüchtlinge übernommen hat.

Kurz gegen Kern

ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der Kern vermutlich in wenigen Tagen nachfolgt, wies die Kritik an Tusk zurück. "Tusk hat Recht, wenn er sagt, dass verpflichtende Flüchtlingsquoten in der EU nicht funktioniert haben. Ich werde daher dafür eintreten, dass diese falsche Flüchtlingspolitik geändert wird."

Kurz erklärte gegenüber der APA am Rande der Koalitionsgespräche, dass es einen "Systemwechsel braucht". Ohne funktionierenden Schutz der EU-Außengrenzen "werden wir das Problem der illegalen Migration nicht in den Griff bekommen". Es sei daher "positiv, dass Tusk und einige europäische Staaten sich vor allem für einen ordentlichen Außengrenzschutz und den Einsatz von mehr EU-Mitteln dafür einsetzen".

"Beide Seiten haben recht"

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ging hingegen auf Distanz zu Tusk ("nicht ausreichend"), es könne keine "selektive Solidarität" geben. Dabei hatte der Ständige Ratspräsident es in seinem Einladungsbrief eigentlich gut gemeint: Er wies nur darauf hin, dass das vor zwei Jahren im EU-Innenministerrat mit Mehrheit beschlossene System nicht funktioniere. Es sei nicht zielführend, wenn man sich in dieser Frage am Ende vor dem EuGH treffe. Man müsse versuchen, gemeinsam voranzukommen, weil es eine Spaltung zwischen West und Ost, Nord und Süd in der Union gebe.

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron forderte ebenfalls Solidarität ein, versuchte aber zu beruhigen, ebenso Luxemburgs Xavier Bettel: "Beide Seiten haben recht." Beschlüsse zur gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik stünden erst 2018 an.

Verfahren gegen Polen droht

Der Streit über die Migration, der nach Aussagen aus der Nacht auf Freitag ungelöst blieb, überschattete die für die Regierungschefs ursprünglich wesentlichen Themen: Sie verabschiedeten in Anwesenheit von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die verstärkte EU-Militärkooperation (Pesco) und die Ausweitung der Brexit-Verhandlungen auf Stufe zwei – mit neuen Problemen aus London (siehe Bericht unten).

Polens neuem Premier Mateusz Morawiecki könnte derweil Ungemach in einer ganz anderen Angelegenheit drohen. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat die EU Warschau eine Frist bis Mittwoch gesetzt, um die umstrittene Justizreform zu überarbeiten. Sonst würde Brüssel erstmals in der Geschichte der Union ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit einleiten. (Thomas Mayer, 14.12.2017)