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Um bis zu zehn Millionen Dollar wechselten Luxuswohnungen im Millennium Tower einst den Besitzer.

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Fußgänger inspizieren Risse im Gehsteig in der Nähe des Turmes (Archivbild aus 2016).

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Der Millennium Tower macht weiterhin Schlagzeilen. Die Rede ist aber nicht vom Büroturm in Wien-Brigittenau, sondern von seinem Namensvetter in San Francisco. Seit seiner Fertigstellung 2008 ist der Turm im Zentrum der Stadt um 43 Zentimeter gesunken und hat sich um 35 Zentimeter geneigt. Der Abwärtstrend ist mittlerweile auf Satellitenbildern ersichtlich. Außerdem gibt es Berichte über Risse an den Kellerwänden und am Gehsteig vor dem Haus.

Experten der Stadt versicherten vergangenen Sommer, dass der 196 Meter hohe Turm – es ist der vierthöchste der Stadt – für seine Bewohner sicher ist. Bei den Eigentümern der 400 Luxuswohnungen hat laut Medienberichten dennoch mittlerweile ein regelrechter Exodus eingesetzt. Für viele ein großer Grund zur Sorge: San Francisco liegt in einem Erdbebengebiet – und das nächste große Beben ist überfällig.

Mittlerweile haben manche Bewohner ihre Wohnungen mit Verlusten von mehreren Millionen Dollar verkauft. Ursprünglich wechselten die Luxuswohnungen um bis zu zehn Millionen Dollar den Besitzer. Dafür lässt der Millennium Tower auch keine Wünsche offen: Es gibt einen Swimmingpool, ein Fitnesscenter, einen Weinkeller, ein eigenes Kino und einen Concierge, der über den Eingangsbereich wacht.

Ungeklärte Schuldfrage

Dass der Turm sinkt, wurde erst 2015 bekannt. Die Immobilienentwickler, Millennium Partners, machen dafür die Bauarbeiten an einem Bahnhof in der Nähe für die Probleme verantwortlich. Dort wurde 18 Meter tief in die Erde gebuddelt. Durch die Bauarbeiten sei das Grundwasser abgesunken, behaupten die Immobilienentwickler. Ein Umstand, den sie auch für das Setzen des Gebäudes verantwortlich machen.

Zuständige weisen das wiederum zurück. Sie glauben, dass beim Fundament des Turmes gepfuscht wurde. Denn es reicht nur 24 Meter in den Boden, der in San Francisco aus Sand besteht – und nicht bis zum Festgestein in 60 Meter Tiefe, wie es bei umliegenden Gebäuden der Fall ist.

Der Fall sorgt auch in Österreich für Interesse: Für den Wiener Statiker Martin Haferl vom Büro gmeiner haferl klingt es "im Rahmen einer Ferndiagnose", wie er betont, durchaus plausibel, dass sich die Situation des Grundwassers unter dem Turm verändert hat: "Wird das Grundwasser abgepumpt, dann sackt der Sand zusammen. Es kann durchaus sein, dass sich dann auch etwas beim Gebäude tut."

Achtung bei Bauarbeiten

Daher werde bei Großbaustellen besonders auf das Grundwasser geachtet, sagt Haferl, der mit seinem Büro an der Tragwerksplanung für den Wiener DC Tower, Österreichs höchstes Gebäude, mitgearbeitet hat: "Als wir beim Bau das Grundwasser absenkten, mussten wir mit größter Vorsicht darüber wachen, dass in der Umgebung nichts passiert." So wurde beispielsweise die Baugrubenschließung tiefer ausgeführt und der Stand des Grundwassers in der Umgebung genau überwacht.

Grundsätzlich sei ein Absinken bei Hochhäusern nicht unüblich, betont der Statiker: "Ein Haus hat ein Riesengewicht. Jeder Boden, der belastet wird, presst sich zusammen." Um wie viel sich ein Gebäude setzt, wird vorab anhand einer bodenmechanischen Simulation berechnet – und dabei wird auf jede Eventualität geachtet. Hier zeigt sich auch, ob sich eine Seite des Hochhauses im schlimmsten Fall mehr setzen könnte als die andere: "Das wäre wirklich problematisch", so Haferl. In einem solchen Fall würden schon im Vorfeld Gegenmaßnahmen getroffen, indem dort, wo der Boden weicher ist, eine verstärkte Fundierung geplant wird.

Elastische Verformung

Normalerweise würde diese Setzung einen sogenannten "degressiven Verlauf" haben, das Gebäude also anfangs stärker sinken als später. 80 Prozent dieser Setzung passieren bei Wiener Bodenverhältnissen schon im Rohbau, so Haferl. Die übrigen 20 Prozent mit der Zeit, wenn Wasser aus Hohlräumen gepresst wird. Beim DC Tower wurde vorab eine Setzung von acht Zentimetern berechnet. Bis heute waren es lediglich sechs Zentimeter, sagt Statiker Haferl. In Zukunft würde der 250 Meter hohe Turm wohl auch nur noch etwa einen Zentimeter absinken, schätzt er.

Und selbst eine Schiefstellung eines Turmes sei – bis zu einem gewissen Ausmaß – kein großes Problem, so der Statiker. Bei einem 250 Meter hohen Turm dürfte die Neigung auch bei einem Dreiviertelmeter liegen. "Aber alles sollte kontrolliert passieren", betont Haferl. Risse würden selbst bei einer solchen Neigung im Normalfall keine entstehen, weil es sich um eine "elastische Verformung" handelt: "Wenn man weiß, warum, ist ein Riss kein drastisches Zeichen", so Haferl.

Türme wachsen weiter

Zurück nach Kalifornien: Beim Millennium Tower müssten die Grundwasserverhältnisse so, wie sie vorher waren, wiederhergestellt werden, glaubt Haferl: "Dann müsste meiner Meinung nach wieder Ruhe sein." Experten haben auch vorgeschlagen, das Fundament im Nachhinein weiter in die Tiefe zu graben, um damit den Turm zu stabilisieren. Nicht ganz ernst zu nehmende Vorschläge gibt es auch: etwa jenen, wonach die obersten 20 Stockwerke des Turmes abgetragen werden sollten, um das Gewicht des Gebäudes zu reduzieren – ein Vorschlag, der die Bewohner der teuersten Penthäuser ganz oben nicht freuen dürfte.

Was der wirkliche Grund für das Sinken des Turmes ist und – noch wichtiger – wer für den Schaden bezahlen muss, werden möglicherweise die zahlreichen Gerichtsverfahren, die mittlerweile am Laufen sind, klären. In San Francisco wird indes weitergebaut: Neben dem Millennium Tower stehen die Arbeiten am Salesforce Tower, dem künftig höchsten Gebäude der Stadt, kurz vor dem Abschluss. (Franziska Zoidl, 16.12.2017)