Der New Yorker Tubaspieler Jon Sass lebt seit vielen Jahren in Wien. Seine Wohnung am Brunnenmarkt ist in gewisser Weise Sinnbild seines alten Harlems. Die Möbel, sagt er, klingen nach Dur und Moll zugleich.

"Aufgewachsen bin ich in Manhattan, in der 148. Straße in Harlem. Früher war mein Viertel durch und durch schwarz. Heute ist alles gentrifiziert. Mein Bruder ist Architekt, Larry Sass, ein richtig berühmter Mann, vor ein paar Wochen ruft er mich an und sagt: 'Jon, das wirst du nicht glauben! Die Straße ist voller schicker Läden, und in unserem Geburtshaus leben heute lauter Weiße!' Alles verändert sich, so gesehen ist meine Heimat nicht mehr das, was sie mal war. Sie ist einer Stadt gewichen, die mir längst nicht mehr vertraut ist.

"Ich mag die Wohnung. Ich empfinde sie als ruhig, als warm, als sanft zu mir selbst. Hier bin ich in meinem Element." Jon Sass in seinem zweiten Harlem.
Foto: Lisi Specht

Hier in Wien habe ich eine Ersatzheimat gefunden. Ich bin 1979 hergezogen, im Zuge einer Konzerttournee. Ich habe Wien immer schon faszinierend gefunden, eine tolle Stadt! Aber damals in den Siebzigerjahren war das echt eine graue, triste Masse. Alles, einfach alles war farblos und grau. Und als ich das erste Mal Wienerisch in einer Trafik hörte, dachte ich mir: Mein Gott, was für eine aggressive Sprache! Heute ist das anders. Die Stadt ist extrem bunt geworden, die Sprache habe ich über alle Maße liebgewonnen.

Ich habe mich in Wien sehr gut eingelebt. Wien ist toll. Und ich habe schon in vielen, zum Teil verrückten Konstellationen gelebt, zuletzt in einer WG mit meinem Jazzmusikerfreund Wolfgang Puschnig. Was für eine Wohnung! Doch eines Tages wollte ich alleine wohnen, und so hat mich diese Wohnung hier gefunden. Ernsthaft, noch bevor ich auch auf der Suche war, sagt ein Kollege zu mir: 'Du, Jon, da wird eine Altbauwohnung am Brunnenmarkt frei.' Ich: 'Echt?' Er: 'Ja!' Kurz darauf bin ich eingezogen.

Fotos: Lisi Specht

Die Gegend ist super. Sehr rough, sehr lebendig, sehr heterogen. Ich liebe den Brunnenmarkt. Trotzdem kriegt man hier fast nie Okraschoten zu kaufen. Und ich liebe Okra! Also muss ich regelmäßig zum Naschmarkt fahren. Das fühlt sich verräterisch an. Verrückt, oder?

Ansonsten schätze ich die Community hier, eine sehr feine, sympathische Mischung, irgendwie eine Art Greenwich Village von Wien für mich. Die Wohnung hat knapp 70 Quadratmeter und ist auf eine bestimmte Weise Sinnbild dessen, wie ich als Kind in Harlem gewohnt habe. Obwohl ich kaum einen Gegenstand, geschweige denn ein Möbel, nach Österreich mitgenommen habe, ist die Stimmung doch sehr ähnlich. Ich empfinde die Wohnung als ruhig, als warm, als sanft zu mir selbst. Hier bin ich in meinem Element.

Fotos: Lisi Specht

Ich habe eigentlich nur ausmalen müssen. Ansonsten war die Wohnung in einem schönen, etwas abgenutzten, aber durch und durch lebendigen Zustand. Im Vorzimmer ist ein alter Antiquitätenschrank meines Vermieters, sehr dunkel, sehr schwer, sehr riesengroß, aber durchaus praktisch, denn ich bin zwei Meter groß, zumindest am Morgen, am Abend bin ich zwei Zentimeter kleiner, und daher sind all meine Hemden und Hosen groß, sehr groß, sehr, sehr groß. In diesen Schrank passt alles hinein.

Überhaupt ist alles in meinem Leben groß. Meine Schuhe, meine Tuba, mein Bett: 2,20 Meter lang, das muss so sein, sonst würden meinen Füßen kalt und schwindelig werden. Ansonsten ist hier alles Jon-Sass-Style. Was das ist? Sagen wir mal so: Wenn ich die Wohnung mit Musik vergleichen würde, dann wäre sie alles zugleich: Jazz und Blues und Folk und World-Music, schnell und langsam, Dur und Moll.

Und weißt du, was das Beste ist? Ich kann das alles hier spielen! Unter mir ist Stiegenhaus, über mir sind junge Leute, links von mir ist Feuermauer, und rechts von mir lebt eine ältere Frau, die Tante des Hauseigentümers, die nicht mehr so gut hört. Das reinste Paradies für einen Tubaspieler!" (18.12.2017)