Völlig ausgelaugt vom "völlig irrsinnigen Versuch" der letzten Wochen, allein über den Transhimalaya zum heiligen See Tangra Yum Tso zu wandern, sitzt Michael Höpfner 2017 in einem Hotel in Lhasa und notiert: "Seltsam, wohin mich diese Idee 'Gehen' in den letzten Jahren geführt hat. Weg aus diesem romantischen Eskapismus." Tibets Hauptstadt scheint ihm jedoch in diesem Moment ein Sinnbild dieses Sehnsuchtsmotivs zu sein.
Das exzessive Zu-Fuß-Gehen ist seit jeher Höpfners künstlerische Praxis. 1995 ging er den Pilgerweg nach Santiago de Compostela, mit der Dokumentation dieser inneren Einkehr bewarb er sich an der Akademie der bildenden Künste.
An physische Grenzen gehen
Es geht ihm nicht um das Abschreiten eines Gebietes, um das Markieren einer Distanz oder das Aufspannen eines zeitlichen Raumes. Höpfners Gehen will nicht Skulptur werden oder klare Konzepte vollenden, Spuren in der Landschaft hinterlassen, so wie in der Land Art etwa bei Richard Long. Hamish Fulton steht er da schon näher. Der "Walking Artist" wanderte etwa 200 Kilometer von Winchester nach Canterbury, ohne zu schlafen, oder überschritt in Ladakh zwölf Pässe an zwölf Tagen.
Auch Höpfner (geb. 1972) geht an seine physischen Grenzen, beschrieb sein extrem entschleunigtes und reduziertes Reisen (nur mit Rucksack, Zelt, Schlafsack, Tagebuch und Kamera) in die entlegensten Gebiete auch schon einmal als "einen Trip machen – durchaus in Analogie zu Drogenerfahrungen". Es ist ein Gehen mit dem Ziel, einen "gesteigerten Zustand der Wahrnehmung" zu erreichen. Das klingt spirituell, Höpfner würde es vielleicht eher als Methode bezeichnen, sich andere Sehweisen zu erschließen und "hinter den Horizont zu blicken".
"Gehen. In die Welt gehen. Verschwinden, Auflösen, Verirren", hat er in einer Art Mindmap vermerkt. "Sich aussetzen". Diese und andere Notizbuchseiten sind nun in der Galerie Winter gemeinsam mit Fotos jener Reisen ausgestellt, die ihn immer wieder für Monate in kaum berührte und fast unbewohnte Gegenden Zentralasiens, Tibets und Westchinas geführt haben. Es sind keine Bilder heroischer Weiten, sondern vom Boden und vom Geröll unmittelbar vor Höpfners Füßen oder von Orten, wo etwa die vom Wind verzehrten Gebetsflaggen zu Fetzengespenstern angewachsen sind.
Gegen lineare Fährten
Das Wiederaufsuchen der gleichen Orte, das Nachhaken, Veränderungen aufzuspüren und eigene Spuren wiederzufinden ist Höpfner wichtig, dem Betrachter präsentiert er seine Erinnerungen nun aber nur in Fragmenten und lässt dabei verschiedene Momente in einen fallen. Lieber wäre einem, der Chronologie eines Notizbuches wie einer Erzählung zu folgen, aber der linearen Fährte verweigert sich Höpfner. Als Anspielpartnerin hat er sich Alice Cattaneo dazugebeten. Kein Duett ähnlicher formaler oder inhaltlicher Fragestellungen, die beiden sind eher lose über Traditionen der gleichen Künstlergeneration verbunden. Cattaneo steuert aber spannende Objekte bei, die mit Fragilität und Balance spielen. Muranoglas lässt sie mit ungewöhnlichen Materialien wie elastischem Zement und flüssigem Keramik Liaisonen, aber auch fixere Beziehungen eingehen. (Anne Katrin Feßler, 19.12.2017)