947 Euro kostet die "Neverfull" von Louis Vuitton im Geschäft.

1460 Tage müsste man als Otto Normalverbraucher auf eine "Birkin"-Bag von Hermès warten.

Foto: Louis Vuitton

Deniz mit "z" ist ein Bollwerk. Ein sehr hübsches Bollwerk. Und wer sich einmal mit der 23-jährigen Bürokauffrau – "bitte unbedingt 'mit Matura' dazuschreiben!" -, nach Dienstschluss am Ende der U2-Linie in einem Coffeeshop am Wiener Stadtrand getroffen hat, hegt keinen Zweifel mehr daran, dass sich das alles, was sie gleich im Schnelldurchlauf erzählen wird, auch so zugetragen hat.

"Es war Schicksal", sagt sie, lacht und schaut liebevoll auf das Objekt ihrer Begierde, das, nein, nicht am Boden – niemals! -, sondern auf dem Sessel neben ihr steht: Die "Neverfull" in hellem Leder, vollkommen unbefleckt, um 947 Euro im Neuanschaffungspreis. "Freunde, die sie angreifen wollen, müssen sich die Hände waschen!", sagt sie und lacht wieder, meint das aber todernst, wie alles, wenn es um "ihre Louis" geht.

"Diese Tasche zeigt einfach, dass es dir gutgeht!", formuliert Deniz das simpel und trifft damit einen Punkt. Den Hype um Handtaschen, in Österreich noch vergleichsweise harmloser als in Paris oder London, der vor allem bei jungen Frauen angekommen ist, auch bei jenen, die keine wohlhabenden Eltern haben, die ihnen die guten Stücke von Stella McCartney, Louis Vuitton, Chanel, Gucci, Prada, Balenciaga, Fendi, Chloé – die Liste ist unendlich lang – für 700, 1000 oder auch noch viel mehr Euro zum Zeugnis, zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken, befeuern heute vor allem Social-Media-Plattformen, insbesondere Instagram.

Du gönnst dir was!

M. weiß das. Er selbst ist Instagram-Fashionblogger aus Wien, hat über 12.000 Follower und weiß so ziemlich alles über Designerhandtaschen – und besitzt selbst eine Reihe solcher Luxusgüter, "die Wert haben", wie er sagt, "ihn aber auch behalten". M. kommt ursprünglich aus der Steiermark, vom Land. Er hat im Leben immer viel gearbeitet, lange in der Gastronomie, 24/7, wie der heute 30-Jährige formuliert, und viel am Arlberg und in Ischgl. Und ohne dass er je Schulden gemacht oder sich in seinem Leben alles um diesen Luxus gedreht hätte, hatte er mit 24 sein erstes "Investment" in Form einer "Birkin" beisammen: für 6240 Euro. Solche Taschen stehen für ein _Lebensgefühl: "Du arbeitest hart, und du gönnst dir was!"

Falls jemand nicht in der Welt der It-Bags zu Hause ist: Hermès ist die Königsdisziplin. Selbst wenn du das Geld für eine Hermès-Bag hast, kannst du dort nicht einfach reinspazieren, das Geld auf den Tisch legen und mit einem Handtaschenklassiker wieder rausspazieren. "Nein", sagt M., "du wartest vier Jahre auf deine ,Birkin'." Oder du fragst M., das geht auch.

Im Gegensatz zu anderen hat er schon vor Jahren das Buch von Michael Tonello "Bringing home the Birkin" gelesen, eine Art Anleitung, was man tun (oder besser nicht tun sollte), um bei Hermès noch am selben Tag zu einer Tasche zu kommen. Gelesen, getan. Als M. und sein Partner damals aus Paris zurückkommen, haben sie drei Taschen im Gepäck, die M. mit Gewinn weiterverkauft. Was man tun musste? "Sich ein bissl auskennen, selbstbewusst auftreten – und einen Schmäh haben."

Mit Gehaltszettel in der Hand

Selbstbewusst aufgetreten ist Deniz auch. Aber nicht sofort. Also von vorne: Angefangen hat alles mit einer Michael-Kors-Tasche um 350 Euro, für die damals noch "die Mama, die Oma, der Opa und mein Freund" zusammengezahlt haben. (Kleiner Exkurs: Ihr Papa, der ursprünglich aus der Türkei kommt, hat für teure Luxushandtaschen noch weniger Verständnis als die Mama und spart lieber für wichtigere Anschaffungen in Deniz' Leben, wie etwa ein Auto oder eine Genossenschaftswohnung).

"Die Kors-Taschen hatten dann aber alle", sagt Deniz, und nachdem die Ex-U19-Nationalteam-Fußballerin mit einer Fake-Vuitton um 60 Euro aus der Türkei über der Schulter traurig feststellen musste, dass "in der Innenstadt alle nur mit den echten unterwegs sind", bewirkte das "einen festen Entschluss. Sie klopfte bei Louis Vuitton an, dem schwarz-goldenen Gebäude in den Wiener Tuchlauben. Ein Security steckte kurz seine Nase raus, befand aber: heute geschlossene Gesellschaft.

Deniz kam dennoch am nächsten Tag wieder. Die Fake-Tasche in einem Sackerl versteckt, aber ihren Gehaltszettel ("Mir bleiben im Monat 700 Euro zum Leben!") in der Hand. "Bei aller Liebe", und damit meinte die Geschäftsführerin die von Deniz zu Vuitton, eine Vuitton gebe es nicht auf Raten. Zumindest nicht beim Hersteller, sondern nur bei den große Online-Shopping-Plattformen.

Und jetzt kommt das "Schicksal" ins Spiel, und dazu muss man Folgendes wissen: Deniz' Mama ist jetzt mit einer Frau zusammen, und die beiden wiederum kennen den Uwe Kröger (ja, den Musical-Star), und der wiederum hat einen Freund, einen Arzt und totalen Louis-Vuitton-Fan. Und der stand plötzlich hinter Deniz im Geschäft: "Schätzchen", hat er gesagt, "dann kauf' ich dir die Tasche!" Das ging natürlich überhaupt nicht! Da würde die Mama auszucken, die immer sagt, dass man unabhängig sein soll.

Gekauft wurde die Tasche für 947 Euro trotzdem und der Dauerauftrag an den Herrn Doktor noch im Geschäft eingerichtet. Bei so viel "Schicksal" gab es Champagner – und ein Selfie für Instagram natürlich auch.

Eine Mutter, die es komisch findet, dass ihre Tochter so viel Geld für Handtaschen ausgibt, hat nicht nur Deniz, sondern auch Christina. Dafür unterscheiden sich die beiden jungen Frauen in ihrem Handtaschen-Geschmack deutlich. Christina, blond, auch bildhübsch, rosa Pulli und bald 25, beendet gerade ihr Studium an der Angewandten und startet bald ihr eigenes Modelabel (kallisi. com). Neben sich auf der gepolsterten Sitzbank im Wiener Café Prückel liegt eine schwarze, nur für ungeschulte Betrachter unscheinbare, kleine Handtasche mit glänzender Schnalle.

"Céline", sagt Christina. Und: "tausend", auf die Frage, wie viel sie kostet. Die Studentin hat aber für den Umstand, dass sie für einen simplen Gebrauchsgegenstand so enorm viel Geld ausgibt, die nachhaltigsten Gründe: "Sie ist handgemacht und unter fairen Bedingungen produziert", sagt sie, "und geht sicher nicht nach drei Monaten kaputt!" Der Sinn für Qualität liegt bei Christina in der Familie, obwohl sie sich das Geld für die teuren Stücke selbst zusammenspart. Ihre erste gute Tasche war ein Beutel von Louis Vuitton, ein Vintage-Erbstück ihrer Großmutter. "Die hat Generationen überlebt", weiß Christina und ist sich da mit Fashion-Blogger M. einig: "So eine Tasche ist eine Investition und jederzeit wiederverkaufbar."

Die überlebt Generationen

An einer "Dionysos" von Gucci (ab 850 Euro) hätte sich Christina schnell sattgesehen, sagt sie, und auch M. sagt, dass diese absoluten Hype-Taschen zwar lustig, aber wirklich nur für Leute sind, bei denen Geld keine Rolle spielt. Er rät zu Klassikern. Bei beiden Gesprächspartnern kommt durch, wie sehr sich alles um Instagram dreht: "Die Leute inszenieren eine heile Welt", sagt M., und Christina weiß, "wie leicht man manipulieren kann."

Fakt ist, dass sich viele, vor allem junge Frauen, heute wertlos fühlen, wenn sie bestimmte Dinge, die andere haben, selbst nicht besitzen. Sogar Christina fragt sich öfters, wenn sie unterwegs ist: "Woher haben die Leute das alles?"

Deniz wird fast aggressiv, wenn sie hört, dass viele andere die teuren Taschen von den Eltern geschenkt bekommen. Auf ihre Vuitton-Tasche hat sie eine lebenslange Garantie, aber gegen Diebstahl versichert ist sie natürlich nicht. Mit Dezember hat sie inzwischen 470 Euro zurückgezahlt.

Im Mai, wenn die letzte Rate abbezahlt ist, gibt es sicher wieder Champagner. Ob "ihre Louis" dann schon mit ihren Initialen versehen ist, bleibt fraglich. Dazu müsste Deniz die Tasche für drei Tage im Geschäft abgeben. "Aber sie macht mich sooo glücklich", sagt sie, "ohne meine Louis will ich gar nicht mehr sein!" Ihr Freund ist schon eifersüchtig. (Mia Eidlhuber, 16.12.2017)