Die Proteste in Warschau blieben vorerst ohne Auswirkung.

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Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt gingen diese Woche wieder zehntausende Polen auf die Straße. In Warschau skandierten sie vor dem Präsidentenpalast: "Freie Gerichte, freie Wahlen, freies Polen!" Viele hatten Kerzen mitgebracht, andere hielten leuchtende Handys oder Taschenlampen in die Höhe. Die "Lichterkette" ist das neue Symbol der polnischen Zivilgesellschaft, die eine Demontage der einst so mühsam erkämpften Demokratie fürchtet.

In über hundert Orten im In- und Ausland klinkten sich Menschen in die Proteste ein. Immer wieder stimmten sie die Europahymne "Ode an die Freude" an. Die Hoffnung ist groß, dass Brüssel nun endlich mit dem Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 gegen Polens nationalpopulistische Regierung Ernst macht und das EU-Mitgliedsland vor dem rettet, was viele Kritiker als erneute Diktatur betrachten.

Duda will unterzeichnen

Doch während die Demonstranten vor dem Präsidentenpalast noch laut "Veto!" und "Verfassung!" rufen, lässt Polens Präsidentensprecher im warmen TVN24-Studio keinen Zweifel daran, dass Andrzej Duda die jüngsten Gesetze zur Justizreform unterzeichnen wird. Noch im Juli hatte er sein Veto eingelegt, da in den von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) vorgelegten Gesetzen seine Rolle bei der Entlassung und Ernennung von Richtern auf die eines Notars beschränkt wurde. Er sollte künftig unterschreiben, was an anderer Stelle politisch entschieden wurde.

Die nun von Duda selbst eingebrachten Gesetze wurden von den PiS-Parlamentariern inzwischen wieder so abgeändert, dass sie sich kaum noch von den ursprünglich eingebrachten Texten unterscheiden. Sie unterstellen die bisher unabhängigen Richter Polens der politischen Kontrolle und heben somit laut Kritikern das Prinzip der Gewaltenteilung auf.

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel erklärte Polens neuer Premier Mateusz Morawiecki am Donnerstag, die Europäische Kommission werde das Artikel-7-Verfahren wahrscheinlich nächsten Mittwoch einleiten: "Doch ich stehe auf dem Standpunkt, dass souveräne Staaten – und Europa sollte ein Europa souveräner Staaten sein – das absolute Recht haben, ihr Gerichtswesen zu reformieren", so Morawiecki.

Er werde mit den europäischen Partnern über das "uns gegenüber so unfaire Verfahren" sprechen. Ob es ihm gelingt, den ersten Schritt – die offizielle Einleitung des Verfahrens, für die die Stimmen von 22 Mitgliedsstaaten ausreichend sind – zu verhindern, ist allerdings fraglich.

Schwache Opposition

Morawiecki wie auch die meisten anderen PiS-Politiker scheinen aber davon auszugehen, dass es nicht zum äußersten Fall, dem Stimmrechtsentzug im Europäischen Rat, kommen wird. Dazu wäre die Einstimmigkeit aller anderen Mitgliedsstaaten nötig. Doch Ungarns Premier Victor Orbán erklärt schon seit Monaten, dass er sich querlegen würde. Ob er am Tag der Stimmabgabe dabei bleiben wird, ist allerdings nicht gesagt.

Im polnischen Abgeordnetenhaus kündigte derweil Grzegorz Schetyna, der Vorsitzende der liberalkonservativen Oppositionspartei Bürgerplattform (PO), an, den "Wiederaufbau der polnischen Demokratie" vorzubereiten. Dazu habe man zwei Jahre Zeit. Die nächsten Parlamentswahlen stehen Ende 2019 an.

Allerdings könnte sich Schetynas Plan als schwierig erweisen. Die PiS kommt derzeit in Umfragen auf bis zu 47 Prozent Zustimmung, während die Opposition weitgehend zersplittert ist. (Gabriele Lesser aus Warschau, 16.12.2017)