Bild nicht mehr verfügbar.

Luftaufnahme vom Berliner Weihnachtsmarkt nach dem Anschlag von Anis Amri.

Foto: AP Photo/Markus Schreiber

Berlin – Polizei und Geheimdienste haben den Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri, nach Recherchen der deutschen Zeitung "Welt am Sonntag" viel früher und intensiver überwacht als bisher bekannt. Dies gehe aus Tausenden Akten, Dutzenden V-Mann-Berichten und den Protokollen von Telefon- und Internetüberwachungen hervor, die dem Blatt nach eigenen Angaben vorliegen.

Spätestens seit November 2015 ließ die deutsche Bundesanwaltschaft demnach den Tunesier gezielt überwachen. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) spricht von einem "bitteren Fehler" der zuständigen Behörden, die die Gefährlichkeit von Amri falsch eingeschätzt hätten.

Weiter Ermittlungen

Die Ermittlungen zu dem Terroranschlag vor einem Jahr gingen weiter, versicherte er in der "Bild am Sonntag": "Amris Umfeld wird weiter ausgeleuchtet. Wir erhoffen uns auch aus dem Prozess gegen den Hassprediger und führenden Salafisten Abu Walaa, der mit Amri Kontakt hatte, weitere Erkenntnisse." Der Iraker Walaa, mutmaßlicher Deutschland-Chef der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), muss sich seit Ende September vor dem Oberlandesgericht Celle verantworten.

Am 19. Dezember 2016 war Amri mit einem Laster in den Weihnachtsmarkt bei der Gedächtniskirche gerast. Zwölf Menschen wurden getötet, annähernd 100 verletzt. Amri wurde später auf der Flucht von italienischen Polizisten erschossen.

Bereits am 14. Dezember 2015 hatte Amri laut "WamS" mit seinem rund um die Uhr überwachten Smartphone detaillierte Anleitungen zum Mischen von Sprengstoff sowie zum Bau von Bomben und Handgranaten heruntergeladen. Spätestens vom 2. Februar 2016 an telefonierte Amri demnach auf diesem abgehörten Handy mit zwei IS-Kadern in Libyen und bot sich als Selbstmordattentäter für einen Anschlag in Deutschland an.

Familiäre Verbindungen nach Libyen

Die Recherchen sollen laut der Zeitung zudem belegen, dass Amri schon vor seiner Ankunft in Italien im April 2011 über enge persönliche und sogar familiäre Verbindungen zu Kämpfern und Führungskadern der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Libyen verfügte.

Der Grund, warum Amri trotz all dieser Erkenntnisse nicht vor dem Anschlag verhaftet wurde, geht laut "WamS" aus den ihr vorliegenden Akten nicht hervor. Allerdings legten die Recherchen eine Verwicklung auch internationaler Geheimdienste nahe. Diese dürften in Amri einen "Lockvogel" gesehen haben, der sie zu seinen Hintermännern, den Anschlagsplanern in Libyen, führen sollte.

Weiter berichtet das Blatt, dass US-Bomber am 19. Jänner 2017 exakt jenes IS-Wüstencamp in Libyen angegriffen hätten, in dem die Hintermänner des Attentats vom Weihnachtsmarkt vermutet wurden. Hans-Christian Ströbele (Grüne), damals Mitglied des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, vermutet deshalb die "ordnende Hand" eines US-Geheimdienstes oder des US-Militärs hinter der "ansonsten unerklärlichen" Nicht-Festnahme Amris.

De Maiziere lobt Behörden

In diesem Jahr haben deutsche Sicherheitsbehörden nach Angaben de Maizieres bereits drei Terroranschläge verhindert – "also drei Anschläge, bei denen die Vorbereitung schon so weit gediehen war, dass man von einer echten Vorbereitung und nicht nur von einer Idee sprechen kann", wie er der "Bild am Sonntag" sagte. "Die Behörden greifen heute teilweise schneller zu als früher, um Gefahren abzuwehren."

Ein Jahr nach dem Anschlag wird in Berlin an die Opfer erinnert. Am Montagnachmittag empfängt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt Verwandte der zwölf Todesopfer, damals verletzte Menschen und ihre Angehörigen sowie andere Opfer des Attentats. Am Dienstag, genau ein Jahr nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz, nehmen der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Merkel an einer religionsübergreifenden Andacht in der Gedächtniskirche nahe dem Tatort teil. (APA, 17.12.2017)