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Trotz Gegenwinds aus Brüssel und Berlin glaubt Emmanuel Macron felsenfest an seine europäische Mission.

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Emmanuel Macron kann Angela Merkel auf Augenhöhe begegnen – im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der ihr hinterherhinkte.

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Karl der Große (747–814) war der vorletzte Herrscher über Europa. Das US-Magazin "Time" ernannte auf seiner Titelseite unlängst einen "neuen Leader Europas" – Emmanuel Macron. Für seine Verdienste um die Einigung Europas darf der französische Präsident nächsten Mai den Karlspreis entgegennehmen. Bis dahin sollte auch die deutsche Regierung stehen. Macron erwartet sie voller Ungeduld, um mit Angela Merkel endlich die versprochene "Neugründung Europas" in die Hand zu nehmen.

Und das nicht etwa wie Nicolas Sarkozy und François Hollande als williger Gefolgsmann der deutschen Kanzlerin. Die Rollen haben sich vertauscht: Während Berlin an der Regierungsbildung laboriert, regiert und reformiert der Herrscher im Élysée-Palast unangefochten von allen – die Opposition, die Gewerkschaften und die eigenen Berater kommen längst nicht mehr mit. Ja, die Dynamik hat die Rheinseite gewechselt: an der Spree die Hängepartie, an der Seine die Aufbruchstimmung.

EU-Regierung als Ziel

Macron, der am Sonntag auf Schloss Chambord seinen 40. Geburtstag feierte, strebt mehr als nur die Kontrolle über sein Land an: Er will auch die EU nach seinen Plänen modellieren. Bei zwei leidenschaftlichen Europareden in Athen und Paris kündigte er die Schaffung eines Eurobudgets mit eigenem Minister an – ein erster Schritt hin zu einer eigentlichen EU-Regierung, welche die französischen Vorstellungen von Schuldensolidarität und Milliardeninvestitionen umzusetzen hätte.

Statt Sparreformen will Macron eine Steuerharmonisierung, unter anderem mit einer europaweiten Finanztransaktions- und CO2-Abgabe, und dazu ein "Europa der Verteidigung" sowie eine abgestimmte "EU-Flüchtlingspolitik".

Große Fraktionen zittern

Auch die EU-Kommissare, die nicht eines dieser Themen umgesetzt haben, holen nur noch Luft. Im Europaparlament spüren die Konservativen und die Sozialdemokraten (zusammen 406 der 750 Sitze) bereits den "Wind der Kanonenkugel" aus Paris, wie ein Abgeordneter meinte. Sie haben Angst, dass Macron bei den Europawahlen 2019 die großen Blöcke in Straßburg zertrümmern könnte, wie er es heuer mit der französischen Rechts- wie der Linksopposition vorgemacht hat.

Gemach, heißt es beruhigend aus Brüssel und Berlin. Wenn die Kanzlerin ihre Wunschkoalition mit der SPD beisammen habe, werde sie Macrons Regungen rasch einen Riegel vorschieben. Ein Schuldentransfer auf Euroebene komme für sie nicht infrage; und ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten – auf das die französischen Pläne hinauslaufen würden – wollen auch die übrigen Europäer nicht.

Auf Augenhöhe

Andererseits: Macron glaubt felsenfest an seine europäische Mission. In Straßburg zieht er bereits die Fäden, um 2019 entweder in der Zentristen-Fraktion Alde oder parallel dazu eine starke Rückendeckung für seine Pläne eines gemeinsamen Eurohaushaltes zu erhalten.

Anders als sein Vorgänger Hollande, der Merkel hinterherhinkte, ist ihr Macron auch anderweitig einen Schritt voraus. Da er in Frankreich mit seiner Arbeitsmarktreform "geliefert" hat, kann er den Deutschen nun auf Augenhöhe begegnen. Dabei will Macron mit Berlin nicht mehr rivalisieren, wie man es von den Franzosen gewohnt ist, sondern gemeinsame Sache machen. Sein Kalkül ist es, zuerst Merkel für seine bahnbrechenden Vorschläge zu gewinnen. Der Rest wäre dann nur noch Formalität, denn der vereinten deutsch-französischen Stoßkraft könnten sich die EU-Kleinen nicht widersetzen.

Parallele zu Mitterrand

Macron folgt letztlich auch dem französischen Urtrieb, in der großen EU zu verwirklichen, was die zu klein gewordene Nation nicht vermag: Einheitswährung statt Markthegemonie, kollektive Schuldenhaftung und neue Grandeur durch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Mit diesem Ansatz unterscheidet er sich nicht einmal von früheren Vorgängern wie François Mitterrand, der Helmut Kohl nach dem Mauerfall den Euro abgerungen hatte. Bei Macron kommt lediglich dazu, dass er zu den nationalen Ambitionen auch seine persönlichen auf die EU ausweitet. (Stefan Brändle aus Paris, 18.12.2017)