STANDARD: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit der Regierungsbildung?

Tockner: Meine Hoffnung ist, dass Politiker, egal welcher Partei, die Vision, Österreich zu einem der attraktivsten Länder in Forschung, Ausbildung und Innovation weiterzuentwicklen, konsequent umsetzen. Und dass etwa mit der beschlossenen Forschungsmilliarde ein dickes Brett statt der vielen dünnen der vergangenen Jahre gebohrt wird. Es müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden, um den qualitätsgetriebenen Wettbewerb um die Gelder für Wissenschaft und Forschung fairer zu gestalten – zuletzt gab es dafür auch einfach zu wenig Mittel. Es verlassen derzeit dreimal mehr Top-Wissenschafter Österreich, als Universitäten und Forschungsinstitute diese ins Land holen – auch das ist eine Folge von Finanzierungslücken im System. Im Ringen um die besten, kreativsten und innovativsten Köpfe haben wir derzeit ganz klar das Nachsehen. Das beginnt dabei, wissenschaftliche Karrieren überhaupt möglich zu machen. Wenn hierzulande junge Wissenschafter durchschnittlich über 40 Jahre alt sind, bevor sie eine langfristige Berufsperspektive erhalten, dann gehen sie schon davor ins Ausland – und das dann oft für immer.

Kapsch: Das ist nicht nur eine Frage des Geldes. Da geht es um die Profilbildung von Universitäten, da geht es um die Nutzung von Synergien zwischen Unis und außeruniversitären Forschungszentren, da geht es um die Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette sowie um die Frage, wie man Mittel konzentriert. Man darf natürlich nicht die Freiheit der Wissenschaft einschränken, aber in unserem System gibt es immer noch zu viel Gießkannenprinzip. Bei begrenzten Ressourcen muss man genau wissen, in welche Richtung man gehen will und wo investiert werden soll. Die Forschungsförderungslandschaft ist zersplittert, das geht auf die Dauer nicht.

Klement Tockner, Chef des Wissenschaftsfonds FWF, wünscht sich eine Exzellenzinitiative – die nun zumindest am Papier des Regierungsübereinkommens steht.
Foto: Corn

STANDARD: Gibt es die Profilbildung der Universitäten nicht schon längst?

Kapsch: Nicht in dem Ausmaß, wie wir es brauchen würden. Mit einer besseren Profilbildung erhöht man auch die internationale Sichtbarkeit, damit entscheidet sich, ob ein Land in Forschung und Entwicklung mitspielt oder nicht. Warum braucht es an einer Universität eine Fakultät für Informationstechnologie, die im Jahr zwölf Absolventinnen und Absolventen hervorbringt? Das gibt es tatsächlich neben den TUs in Wien und Graz, die beide gut sind. Das ist nur ein Beispiel – ein kleines -, wo in diesem Land Mittel, die wir anderswo wirkungsvoller einsetzen könnten, vergeudet werden. Genauso absurd ist, dass man ein Medizinstudium nicht in Wien beginnen und in Graz fertigmachen kann, weil die Curricula unterschiedlich sind.

Tockner: Ich sehe ein wesentliches Problem auch bei der zu schmalen Spitze in der Forschung. Wir haben zu wenige Top-Leute in Österreich. Wenn die weg sind, bleibt nur der Durchschnitt. Stellen Sie sich vor: Marcel Hirscher fällt aus, und Österreich ist keine Skination mehr. So ähnlich ist das derzeit in der Wissenschaft. Man sieht am Beispiel Singapur, was es braucht, um eine Top-Forschungs- und Innovationsnation zu werden. Sie hatten eine Vision, sie haben die nötigen Ressourcen zur Verfügung gestellt, und sie haben alles getan, um die besten Köpfe anzuziehen und zu halten. Wir stecken derzeit noch bei der Vision fest. Jetzt ist der Zeitpunkt für ein starkes Aufbruchssignal. Die Exzellenzinitiative in Deutschland war und ist ein solches Signal, nach außen und nach innen.

Kapsch: Österreich als Standort wäre ja prinzipiell sehr attraktiv. Abgesehen davon, dass wir in Österreich für Ausländer keine Willkommenskultur entwickelt haben: Die Rahmenbedingungen sind nicht so, dass man gerne hierher kommt. Das liegt vor allem am österreichischen Steuersystem. Wenn ich als WissenschafterIn an der ETH Zürich schon brutto mehr verdiene als in Österreich, aber netto noch wesentlich mehr, weil ich deutlich weniger Steuern zahle – warum sollte ich hierher kommen?

STANDARD: Welcher Schritt wäre der erste, um Verbesserungen herbeizuführen?

Kapsch: Einmal einzusehen, dass es neue Ansätze braucht. Das Bestehende lediglich mit zusätzlichen Mitteln fortzuschreiben wird nicht die Lösung sein. Es braucht endlich eine Studienplatzfinanzierung. In den Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten stehen zum Teil relativ schwammige Dinge. Das muss auch so sein, sonst hätten die Unis bei konkreten Richtlinien gar keinen Bewegungsspielraum mehr. Was aber in den Leistungsvereinbarungen der naturwissenschaftlichen Studien auf jeden Fall festgeschrieben werden sollte: Sind die Unis zu Kooperationen bereit, geben sie Patente weiter oder sitzen sie darauf wie auf dem Heiligen Gral? Machen sie also etwas für ökonomische Wertschöpfung?

Georg Kapsch kritisiert die fehlende Willkommenskultur in Österreich.
Foto: Corn

Tockner: Ich finde auch den oft strapazierten Begriff der Innovationskette falsch. Ich würde eher von einer Innovationssuppe sprechen. Wir können aus ihr schöpfen, egal ob für die Grundlagenforschung oder den anwendungsorientierten Bereich. Es muss einen Impact auf die Gesellschaft geben, vor allem muss die Qualität stimmen. Die ist nicht verhandelbar. Das tragen wir als FWF wie eine "Monstranz" vor uns her.

Kapsch: Ich kann Ihr Bild teilen, wenn ich bedenke, dass es viele Dinge gibt, die für ganz andere Zwecke entwickelt wurden als das, wofür sie nun Verwendung finden. Ein altbekanntes Beispiel: Teflon – ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt, kam es schließlich in Bratpfannen zur Anwendung. Aber prinzipiell bleibe ich bei meiner Meinung: Es gibt keine nachhaltige Forschung in den Naturwissenschaften ohne Wirtschaft – und es gibt keine Wirtschaft ohne Ideen aus den Naturwissenschaften.

Tockner: Und es muss risikoreiche Wissenschaft geben, die nicht für einen unmittelbaren Nutzen angestoßen wurde. Dies ist auch eine notwendige Versicherung für uns, um jene Herausforderungen bewältigen zu können, die wir zumeist noch gar nicht kennen.

STANDARD: Würden Sie sich also ein besseres Gleichgewicht zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung wünschen? Österreich gibt ja mehr Geld für Letzteres aus.

Kapsch: Ich halte diese Trennung insgesamt für schädlich, weil die Bereiche ineinander übergehen sollten. Es darf keinen Wettbewerb zwischen den beiden Bereichen geben. Es wird ja oft über die Forschungsprämie gelästert, die ab Anfang Jänner 2018 auf 14 Prozent steigen wird. Das sind Mittel, die die Industrie vom Staat bekommt, wenn sie eigenbetriebliche Forschung betreibt. Das ist aber eines der wenigen Instrumente, die wir haben, um Industrie nach Österreich zu bringen.

Bild aus dem Wissenschaftsministerium.
Foto: Urban

Tockner: Es braucht beides – was fehlt, ist die Balance. Man könnte die Effektivität der Forschungsprämie deutlich erhöhen, wenn man im Bereich der Grundlagenforschung nachziehen würde. Darüber hinaus braucht es ein österreichisches Exzellenzbekenntnis bzw. -programm, das beispielsweise über spezielle Zukunftsprofessuren den herausragenden Nachwuchs unterstützt und zugleich den gesellschaftlich relevanten Aspekt der Forschung hervorhebt – einen Aspekt, den wir wollen, aber nicht erzwingen können. Das FWF-Modell eines Exzellenzprogramms sieht Pionier- und Exzellenzlabore vor, aus denen sich anschließend Transformationslabore entwickeln können. Wenn ich etwa die Qualität der Quantenphysik an den Unis Innsbruck und Wien sehe, dann ist es schade, dass es bisher kaum österreichische Industrieunternehmen dazu gibt. Konzerne wie Google haben hingegen erkannt, dass da die Zukunft in der Informationsgesellschaft liegt.

STANDARD: Fragt sich aber, warum das nicht längst passiert ist. Es gibt doch Translational Research Center, gibt es zu wenige davon?

Kapsch: Vielleicht gibt es zu viele. Vielleicht haben wir wie in vielen anderen Fällen zu sehr darauf geachtet, was sich das jeweilige Bundesland wünscht, und nicht qualitativ, sondern regionalpolitisch investiert. Die Med-Uni Linz ist das klassische Beispiel für eine schwere politische Fehlentscheidung. Das kostet 150 Millionen Euro und hätte der technischen Fakultät der Kepler-Universität sehr gutgetan. Wir achten in vielen Bereichen zu oft darauf, welche Landeshauptfrau und welcher Landeshauptmann wie laut schreit. Das ist politisches Klein-klein, damit jeder bedient wird. Ähnlich absurd finde ich, dass es bisher mehrere Ministerien mit Innovationsagenden gab: das Wissenschafts- und Wirtschafts-, das Verkehrs-und das Lebensministerium. Ich frage mich, warum das so war. Jeder entwickelte eigene kleine Programme.

Tockner: Wir geben zwar insgesamt 3,14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus, dabei werden aber noch zu viele dünne Bretter gebohrt.

STANDARD: Wäre das oft geforderte Forschungsministerium die Lösung, das alle F&E-Aktivitäten steuert, von der Grundlagen- bis zur Anwendungsforschung?

Kapsch: Meiner Meinung nach: Ja. Unter dieses Dach gehören alle Agenturen, die sich dann zwangsläufig besser untereinander abstimmen müssen. Der Minister müsste jemand sein, der eine hohe Kompetenz in den Bereichen Forschung und Entwicklung hat: Vielleicht jemand, der zuerst an einer Uni und dann in der Industrie war – oder umgekehrt. Dann hätten wir jemanden, der mit Begeisterung und mit Wissen mit diesem Thema umgeht.

Tockner: Wie auch immer der Zuschnitt eines Ministeriums aussehen mag – wissenschaftliche Forschung und Universitäten müssen unter einem Dach verbunden bleiben. Das hat sich bewährt. Außerdem sollte es zu keinen unnötigen Agenturfusionen kommen. Der FWF hat wie die FFG ein ganz klares Profil. Man kann Brücken schlagen, dabei sollte aber nichts top-down erzwungen werden, sondern vom jeweiligen Bedarf getrieben sein. Wenn es zu einer Reorganisation der Agenturlandschaft käme, wäre man jahrelang damit, aber nicht mit dem eigentlichen Kerngeschäft beschäftigt.

STANDARD: Um beim Superminister für Forschung zu bleiben: Sehen Sie so jemanden?

Kapsch: Es gäbe schon solche Leute. Die Frage ist nur, ob sie in die Politik wollen und dort die nötige Akzeptanz finden. Wenn man nur parteipolitisch besetzt, wird man diese Leute nicht finden.
(Peter Illetschko, 18.12.2017)