Ankara/Athen – Kurz vor dem nächsten Treffen syrischer Kriegsparteien in der kasachischen Hauptstadt Astana am Donnerstag und Freitag diese Woche scheint die Türkei entschlossen, neue Fakten zu schaffen. Ein Einmarsch der türkischen Armee in die syrische Grenzprovinz Afrin war am Montag jeden Moment erwartet worden. Afrin wird von den Kurden der Partei der Demokratischen Union (PYD) gehalten und ist Teil des von ihr ausgerufenen Selbstverwaltungsgebiets Rojava in Nordsyrien.

Aus der Betonmauer entlang der Grenze zu Syrien wurden an zehn Punkten Blöcke entfernt, berichtete die Tageszeitung "Karar" am Montag unter Berufung auf türkische Militärquellen. Die Vorbereitungen auf eine Intervention seien beschleunigt, Einheiten der von der Türkei unterstützten Freien Syrischen Armee in Richtung Afrin dirigiert worden.

Der Distrikt Afrin ist ein etwa 40 Kilometer weites Grenzgebiet nordwestlich von Aleppo, wo sich das syrische Staatsgebiet wie eine Tasche ausformt und zwischen den türkischen Großstädten Antakya und Gaziantep liegt.

Ansage an Trump

"Wir werden Afrin von den Terroristen säubern", hatte der türkische Staats- und Parteichef Tayyip Erdoğan am vergangenen Sonntag bei einem Provinzparteitag seiner konservativ-islamischen AKP angekündigt. Erdoğan wandte sich in seiner Rede zugleich an den US-Präsidenten Donald Trump.

Er hätte Trump gesagt, man könne Terroristen nicht mithilfe einer Terrororganisation den Garaus machen, sagte Erdoğan. Ankara sieht die kurdische PYD in Syrien nur als Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die einen Terrorkrieg gegen die Türkei führt. Die USA wiederum unterstützen die sogenannten Volksstreitkräfte der PYD – die Miliz YPG – als ihre wichtigste Kraft am Boden in Syrien im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Dass die Waffenhilfe trotz gegenteiliger Zusicherungen Trumps in einem Telefongespräch mit Erdoğan im vergangenen Oktober offensichtlich andauert, erzürnt die türkische Führung.

Waffenlieferungen

In den zurückliegenden drei Wochen hätten die USA drei Waffenlieferungen an die PYD/YPG in Afrin gesandt, gab die islamistische türkische Tageszeitung "Yeni Şafak", ein Sprachrohr der Regierung, an. Bei den Waffen soll es sich um hochmoderne Panzerabwehrraketen handeln. Sie seien vom Stützpunkt der US-Spezialkräfte in Hasaka im Nordosten Syriens an der Grenze zum Irak nach Afrin transportiert worden und würden bei einem Einmarsch gegen die türkische Armee eingesetzt, behauptete das Blatt.

Die Türkei war im Sommer 2016 im Gebiet entlang des Euphrats in Nordsyrien einmarschiert, um den IS zu bekämpfen und die Kurden einzudämmen. Im vergangenen Oktober schickte Ankara nach Absprache mit Moskau auch Truppen in die nordsyrische Provinz Idlib. Dort sollte die Türkei islamistische Rebellen vertreiben. Dies geht angeblich langsamer voran, als es sich die Russen vorstellen. Ankaras Interesse liegt offenbar weit mehr bei Afrin und den Kurden: Die Türkei möchte diesen Teil Rojavas unter ihre Kontrolle bringen.

Damit würde das Gewicht der Kurden vor einer nunmehr für Februar geplanten Konferenz des "nationalen Dialogs" aller syrischen Kräfte in Sotschi verringert. (Markus Bernath, 18.12.2017)