In "Staying with Trouble" veränderte die Künstlerin Rajkamal Kahlon Fotos aus dem Museumsarchiv, und verwies auf die Gewalt in vielen kolonialen Darstellungen

Foto: KHM Museumsverband, Weltmuseum Wien

Wien – Wie eine mit Schnüren umwickelte, überdimensionale Zigarre liegt sie da, die Yurupari-Trompete aus der Kultur der Makuna im heutigen Kolumbien. Oder zumindest das, was man von ihr sehen kann: Sie ist Teil eines Mythen- und Ritualkomplexes und darf deswegen nur in den Blick von erwachsenen Männern der Gruppe geraten. Sie zu sehen würde für alle anderen eine Gefahr und einen Identitätsverlust darstellen. Die meisten Makuna dürfen deswegen nur die Musik des sakralen Gegenstandes hören. Wie aber geht ein Museum im Besitz eines solchen Objekts, mit ihm um?

"Wir haben eine Vitrine mit einer Folie verkleidet, sodass man zwar etwas darin erahnen kann, aber nichts sieht", sagt Claudia Augustat, Kuratorin der Südamerikasammlung am wiedereröffneten Weltmuseum in Wien. Teile der Trompete liegen so im Dunkeln, andere in Blätter gewickelt. Sie ist sich der Verantwortung, die der Besitz mit sich bringt, bewusst: "Respekt gegenüber einer anderen Kultur zu zeigen, heißt auch, Grenzen zu respektieren." Neben der Vitrine ist lediglich ein Knopf angebracht. Drückt man darauf, erklingen die schiefen, aber beruhigenden Töne des Instruments, die auch von Fremden gehört werden dürfen.

Nur erwachsene Makuna-Männer dürfen sakrale Yurupari-Trompeten sehen. Das Weltmuseum zeigt Teile deshalb hinter dunklem Glas oder, wie hier, eingewickelt in Blätter
Foto: KHM Museumsverband, Weltmuseum Wien

Moderner Kolonialismus

Respekt und Sensibilität. Das sind auch Leitlinien des EU-geförderten Swich-Projekts, das 2014 vom Weltmuseum initiiert wurde. Es geht darum, Erfahrungen, wie zum Beispiel mit dem kultursensiblen Umgang mit Objekten, zwischen ethnografischen Museen in Europa auszutauschen. Mit dabei sind zehn Museen aus Ländern wie Schweden, Belgien oder Spanien. Es geht um die Rolle der Museen in einer von Globalisierung und Migration geprägten Gesellschaft, wie Doris Prlic erzählt, die das Projekt am Weltmuseum betreut. Die Projektleitung wird mit Ende des Jahres von Museumsdirektor Steven Engelsman an die Kuratorin Augustat übergeben.

Fragen zu Stereotypisierungen oder zur Zukunft des Sammelns werden im Projekt genauso thematisiert wie der Umgang mit der kolonialen Vergangenheit. Anhand von Positiv- und Negativbeispielen sollen diese Herangehensweisen analysiert und bewertet werden. Bei Ausstellungen sakraler Gegenstände hätten manche Museen in den USA diese lediglich hinter Vorhängen platziert und dem meist weißen Besucher somit selbst überlassen, ob er das Tabu brechen will. "Das ist für mich eine koloniale Herangehensweise," sagt Augustat. Ihr Team würde deswegen versuchen, die betroffenen Personen selbst zu befragen, um an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten. "Wenn unser kulturelles Erbe im Ausland ausgestellt wird, wollen wir ja auch mitreden."

Im Saal "Im Schatten des Kolonialismus" reflektieren Kuratoren über ihre eigenen Sammelerfahrungen und das Nachwirken kolonialer Muster
Foto: KHM Museumsverband, Weltmuseum Wien

Länderspezifische Fragestellungen

Das Nachwirken kolonialer Muster führt dabei in jedem Land zu anderen Fragestellungen, so Doris Prlic. Ein am Projekt beteiligtes belgisches Museum etwa hat mit ehemaligen Kolonien in der heutigen Demokratischen Republik Kongo, in Ruanda und in Burundi einen Afrikafokus und kooperiert mit der belgisch-kongolesischen Community. Obwohl die Aufarbeitungsfrage in anderen Ländern vielleicht dringender erscheint, hat auch Österreich, eine koloniale Vergangenheit. Durch Expeditionen, Handel und der prinzipiellen Haltung, die eine Überlegenheit der Europäer voraussetzte, war man auch Teil des kolonialen Projektes.

Heute wird ein solches Erbe im Rahmen von Swich aufgearbeitet, um diese Geisteshaltung aus den Köpfen zu bekommen. Umgesetzt werden die Ideen in Aktivitäten wie experimentellen Ausstellungen von Menschen mit Diaspora- oder Migrationserfahrung in den jeweiligen Städten. Eine solche Ausstellung ergab sich auch durch die Zusammenarbeit mit der Künstlerin Rajkamal Kahlon, deren Erfahrungen während eines zweimonatigen Aufenthalts am Weltmuseum nun in "Staying with Trouble" zu sehen sind.

In "Staying with Trouble" interpretierte Rajkamal Kahlon ethnografische Darstellungen aus dem Museums-Fotoarchiv neu
Foto: KHM Museumsverband, Weltmuseum Wien

"Sie hat das Fotoarchiv durchforstet und geschaut, wie historische Fotografien auch noch in die Gegenwart hineinwirken", erzählt Doris Prlic. Da Kahlon ethnografische Museen wegen ihrer Vergangenheit als "Instrumente der imperialen Macht" sieht, veränderte sie Bilder auf unterschiedliche Weise und versuchte so, Machtverhältnisse umzudrehen. Der Blick wird dabei auf Exotismen von Kulturen gerichtet, die damals Norm waren.

Im Sammelwahn

Das Sammeln selbst ist jedoch auch heute noch Alltag. Unterschiede in der Objektbeschaffung von damals und heute werden in der Ausstellung "Im Schatten des Kolonialismus" behandelt. Claudia Augustat reflektiert im Zuge dessen auch über Erfahrungen zu Beginn ihrer eigenen Karriere: "Ich hatte damals nur drei Wochen Zeit und eine Liste, was ich alles sammeln sollte. Es gab zwar eine gewisse Freiwilligkeit, aber die muss man hinterfragen, wenn man in einer Welt der Ungleichheit lebt." Bei den Saamaka in Suriname kaufte sie, was man ihr anbot, ohne sich mit den Leuten richtig darüber zu unterhalten. "Im Nachhinein habe ich mich gefragt, inwiefern sich das von der Herangehensweise vor 100 Jahren unterschieden hat."

Bei einem kooperativen Projekt, lud das Weltmuseum Vertreter der brasilianischen Sateré-Mawé ein, um mit ihnen an einer Ausstellung zu Brasilien zu arbeiten
Foto: KHM Museumsverband, Weltmuseum Wien

Heute versucht sie deshalb eine Geschichte zu erzählen, die beide Seiten miteinbezieht, um von einem ethnografisch-beschreibenden Stil wegzukommen. Für die aktuelle Aufbereitung einer anderen Sammlung haben die Forscher des Weltmuseums deshalb auch mit Vertretern der Sateré-Mawé zusammengearbeitet, einem indigenen Volk aus dem Amazonasgebiet Brasiliens. Viele Objektbeschriftungen sind aus ihren Zitaten entstanden. Die Sammlung selbst kam mit einer Expedition in Begleitung der habsburgischen Erzherzogin Leopoldine nach Wien, die 1817 nach Brasilien verheiratet wurde.

Das Hinterfragen der eigenen Vorgehensweise spiegelt auch den Kern des Swich-Projekts wider: "Es geht darum, die Vergangenheit kritisch zu reflektieren, aus der Gegenwart zu lernen und zu überlegen, wie man zukünftig am besten weitermacht", sagt Doris Prlic. Durch die EU-Kooperation sehe man, was woanders gut funktioniert und wo manche scheitern. Es mache die eigene Arbeit einfacher "und auch spannender", wie Claudia Augustat anmerkt. (Katharina Kropshofer, 26.12.2017)