OSZE-Medienbeauftrager Harlem Desir.

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Wien – Der OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, Harlem Desir, hat eindringlich vor den Folgen des Hasses gewarnt, der Journalistinnen im Internet entgegenschlägt. "Die Angriffe haben ein schreckliches Ausmaß erreicht", sagte Desir bei einer Podiumsdiskussion am Montag im Schwedenhaus in Wien. Der Hass im Netz könne zu Selbstzensur von Journalistinnen führen. Dagegen müsse vorgegangen werden.

Online-Angriffe beträfen zwar auch Männer, bei Frauen seien sie aber besonders aggressiv, sagte Desir. Häufig hätten diese Drohungen explizit sexuellen Inhalt, was sie besonders "widerlich" mache. Das Ziel sei es, "Frauen zum Schweigen zu bringen", "sie zu isolieren". Drohungen im Internet – in allen OSZE-Ländern ein Thema – seien oft die Vorstufe zu Drohungen, die ins reale Leben hineinwirken.

Drohungen

Zeugnis davon legten zwei Journalistinnen ab, die ins Schwedenhaus geladen waren. Die Finnin Jessikka Aro wurde Opfer von russischen Internet-Trollen, weil sie über diese recherchiert und geschrieben hatte. In zahlreichen Fake-News-Seiten wurde Aro daraufhin unter anderem als "NATO-Agentin" diffamiert. Auch in ihrem Privatleben wurde gestöbert. Arzu Geybullayeva, eine Journalistin aserbaidschanischer Herkunft, hatte von der Türkei aus über ihr Heimatland publiziert, woraufhin eine Welle von Drohungen über sie hereinbrach. "Die erste Nachricht war gleich eine Morddrohung. Ich hätte noch drei Tage zu leben. Sogar der Ort des Begräbnisses wurde mir mitgeteilt."

"Die Journalistinnen stehen diesem Phänomen häufig sehr hilflos gegenüber", sagte Desir im APA-Gespräch. "Jetzt spricht man mehr darüber, aber in den meisten Fällen wissen sie nicht, an wen sie sich wenden können. Selbst in den Redaktionen kann man das Thema nicht so einfach ansprechen. Staatliche Akteure, wie Polizei und Justiz, haben die Schwere der Drohungen sehr lange unterschätzt – in vielen Ländern tun sie das weiterhin. Die Konsequenz kann Selbstzensur sein."

Bedroher eindeutig politisch zuordenbar

Auch die Journalistin Geybullayeva dachte daran, sich von Facebook und Twitter zurückzuziehen. Sie entschied sich aber schließlich anders. Sie begann, die Nachrichten, die sie bekam, zurückzuverfolgen. Rasch begriff sie, dass die meisten Bedroher eindeutig politisch zuzuordnen waren. Über ihre Recherchen publizierte sie einen Artikel, der auch in Aserbaidschan stark rezipiert wurde. Seither sind die Drohungen abgeflaut. Für Geybullayeva war das Publizieren dieses Artikels "eine große Genugtuung."

Individueller Mut ist aber nicht der einzige Weg, mit dem Problem umzugehen. Der OSZE-Pressefreiheits-Beauftragte wies etwa auf Frauengruppen hin, die Online-Tools gegen Hass im Netz entwickelt hätten. Desir nimmt auch die Redaktionen und die breite Öffentlichkeit in die Pflicht: Die Solidarität mit Opfern von Angriffen müsse größer werden. Er bemühe sich auch um den Kontakt mit Polizei und Justiz in den OSZE-Ländern, um die Sensibilität für das Phänomen zu erhöhen. "Die Angriffe dürfen auf keinen Fall banalisiert werden", so Desir. (APA, 19.12.2017)