Künftig könnte es All-inclusive-Pakete für Haushalte geben mit Beleuchtung, Heizung und Ladestation für das Elektroauto in der Garage – Strom eingeschlossen.

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STANDARD: Welche Jahreszeit mögen Sie besonders?

Anzengruber: Den Sommer.

STANDARD: Die Vorweihnachtszeit, wenn die Einkaufsstraßen grell beleuchtet sind und die Stromzähler heiß laufen, lässt Sie kalt?

Anzengruber: Da steht die Versorgungssicherheit im Vordergrund und die Frage, ob wir das auch in Zukunft so hinbekommen. Das beschäftigt uns nicht nur in der Weihnachtszeit, sondern durchgehend. Wir müssen immer öfter eingreifen, damit die Stromversorgung klaglos funktioniert. Das bedeutet auch steigenden Mehraufwand.

STANDARD: Andererseits – je mehr Strom Sie absetzen, desto besser ist es für die Verbund-Finanzen.

Anzengruber: Umgekehrt war es aber auch noch nie so, dass wir auf Strom sitzengeblieben wären. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.

STANDARD: Als Sie vor acht Jahren als Verbund-Chef antraten, war da Ihre Einstellung, das Geschäft eines Energieversorgers betreffend, eine andere als heute?

Anzengruber: Zum Zeitpunkt meiner Bestellung lag der Strompreis bei 70 bis 80 Euro die Megawattstunde (MWh). Hätten die Prognosen damals gestimmt, wären wir heute bei 100 Euro. Tatsächlich bewegen wir uns bei 30 bis 35 Euro je MWh. Da hat sich also massiv etwas verändert.

STANDARD: Was ist passiert?

Anzengruber: Beispielsweise wurde die Finanzkrise nicht vorhergesehen. Das hat zusätzlich zu energiespezifischen Themen wie Klimaerwärmung, Energiewende, gemeinsame oder nicht gemeinsame Märkte die Welt der Energieversorger massiv verändert.

STANDARD: Strom ist ein Massenprodukt, wird überall benötigt, aber kaum geschätzt?

Anzengruber: Strom ist fast die klassischste aller Commodities.

STANDARD: Sie können sich mit dem Produkt nicht von anderen abheben ...

Anzengruber: ... und wenn ich es mache, dann sicher nicht zur Zufriedenheit der Kunden. Wir können nicht sagen, unser Strom hat 49 Hertz statt 50 Hertz. Man kann Strom emotional aufladen und beispielsweise die Herkunft des Stroms herausstreichen. Das haben wir gemacht, und das ging auch eine Zeitlang gut. In einer Welt, in der alles in Richtung erneuerbare Energien geht, ist dieses Argument nicht mehr so tragfähig. Jetzt geht es darum, nicht das Produkt in den Vordergrund zu stellen, sondern die Anwendung.

STANDARD: Verbund-Strom ist nicht der teuerste, auch nicht der billigste. Reicht das, um den Kundenstock zu vergrößern?

Anzengruber: Uns ist das gelungen. Wir werden im Privatkundenbereich bis Jahresende auf etwa 450.000 Kunden kommen, das sind rund neun Prozent mehr als 2016 und entspricht einem Marktanteil von sieben bis acht Prozent. Im Industriebereich sind wir mit einem Marktanteil von gut 20 Prozent Marktführer.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, irgendwann auf teure Abrechnungen, Mahnungen und alles, was mit dem Verkauf von Strom zu tun hat, zu verzichten und den Strom zu verschenken?

Anzengruber: Es wird eine ähnliche Entwicklung geben, wie wir sie schon in der Telekommunikation gesehen haben. Statt Übertragungsraten kauft man Leistungen. An dem arbeiten wir auch.

STANDARD: Gratisstrom, und Sie holen sich das Geld anderweitig - ist das denkbar?

Anzengruber: Ich möchte das nicht ausschließen, es geht in diese Richtung. Wir sagen, die Kunden bekommen ein Fullservice für ihre energierelevanten Themen, ob das die Fotovoltaikanlage am Dach ist, das Elektroauto, die Heizung oder das Management all dieser Sachen. Sie zahlen für dieses Paket, und der Strom ist inkludiert.

STANDARD: Wo sehen Sie künftig margenträchtiges Geschäft, damit Sie auch künftig Ihre Aktionäre bei Laune halten können?

Anzengruber: Zunehmend mehr gefragt ist Engpassmanagement, also Eingriffe zur Stabilisierung der Stromnetze. Das setzt Kraftwerke voraus, die in Reserve gehalten werden und bereit zum Einsatz sind, wenn sich irgendwo ein Engpass ankündigt. Wir sind auch überzeugt, dass das Geschäft mit Speichern boomen wird. Die Anforderungen an die Versorgungsqualität sind mit zunehmender Digitalisierung gestiegen. Früher hat das Licht bei einem Spannungsabfall geflackert. Heute melden sich die Computer ab, und es entsteht ein Riesenschaden. Dem muss man vorbauen.

STANDARD: Sie haben im Verbund gerade einen Strategiefindungsprozess laufen. Sind Sie schon fündig geworden?

Anzengruber: Es gibt keinen Strategiefindungsprozess, wir haben eine Strategie. Diese wird jetzt evaluiert. Es geht im Wesentlichen um die Überprüfung der Prioritätensetzung, weil sich ja auch das Umfeld verändert hat. Davon hängt ab, wohin wir künftig vermehrt Mittel lenken.

STANDARD: In anderen Branchen spricht man von disruptiven Zeiten, sehen Sie die in der Energiewirtschaft nicht?

Anzengruber: Die Disruption findet in unserem Geschäftsmodell statt. Früher war der Strompreis der Treiber, jetzt sind es die Stromanwendung und das Orchestrieren des Systems. Früher war das Geschäft in der Stromerzeugung fast oligopolistisch organisiert, es gab nur wenige Produzenten. Inzwischen tummeln sich viele Erzeuger am Markt, vom Industriebetrieb bis zum Hausbesitzer mit Fotovoltaik am Dach.

STANDARD: Wann wird die Evaluierung abgeschlossen sein?

Anzengruber: Gegen Ende des ersten Quartals nächsten Jahres.

STANDARD: Werden Sie dann derjenige sein, der die Strategie über das Jahr 2018 hinaus umsetzen wird?

Anzengruber: Das ist nicht allein meine Entscheidung. Ich bin nicht müde, mir macht die Tätigkeit weiter viel Spaß. Aber das letzte Wort hat letztendlich der Eigentümer.

STANDARD: Die Entscheidung ist noch nicht gefallen?

Anzengruber: Nein.

STANDARD: Normalerweise wird so etwas ein Jahr im Voraus fixiert.

Anzengruber: Mein Vertrag läuft Ende 2018 aus, es gibt also noch mehr als ein Jahr Zeit. Das Stellenbesetzungsgesetz besagt, dass eine Entscheidung ein halbes Jahr im Voraus fallen soll. Der Stichtag wird irgendwann um den 30. Juni nächsten Jahres sein.

STANDARD: Was wollen Sie den Googles, Apples und Amazons dieser Welt entgegensetzen, die nun auch verstärkt in den Strommarkt drängen?

Anzengruber: Das ist Wettbewerb. Wir haben eine Situation, in der die Sektoren ineinanderfließen. Das ist nicht nur bei Strom so, das haben wir in allen anderen Bereichen auch. Google, Apple und Co sind in der Kundenansprache gut, verfügen über riesige Marketingmittel. Wir kennen uns hingegen energiewirtschaftlich besser aus als die und haben auch nach wie vor ein hohes Vertrauen der Kunden. Auf das müssen wir aufpassen. Es wird in Zukunft viele Kooperationen geben zwischen verschiedenen Marktteilnehmern. Wir können viel lernen von denen, die umgekehrt von uns.

STANDARD: In den neuen Energiemärkten wird man Geld verdienen?

Anzengruber: Das ist sicher. Allerdings ist noch nicht entschieden, wer dieses Geld verdienen wird. (Günther Strobl, 20.12.2017)

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Wolfgang Anzengruber (61) ist seit 2009 Vorstandsvorsitzender von Österreichs größtem Stromkonzern. Sein bereits einmal verlängerter Vertrag läuft Ende 2018 aus. Anzengruber ist verheiratet und Vater von drei Töchtern.
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