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Neo-Kanzler Sebastian Kurz zu Besuch bei Ratspräsident Tusk ...

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

... und Kommissionspräsident Juncker.

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Küsst er ihn oder küsst er ihn nicht? Das war vom Atmosphärischen her wohl die erste Frage bei einem kurzen Arbeitsbesuch von Bundeskanzler Sebastian Kurz am Dienstagabend bei EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel. Bei einem ersten "Antrittsbesuch" gleich nach den Wahlen im Oktober hatte der Luxemburger den ÖVP-Chef in seinem Büro demonstrativ herzlich empfangen. Der Österreicher wirkte angesichts der französischen Begrüßungsrituale des Luxemburgers aber etwas irritiert, sodass die Küsschen rechts und links seine Wangen verfehlten.

Auszüge aus der gemeinsamen Pressekonferenz von Sebastian Kurz, Jean-Claude Juncker und Johannes Hahn.
© European Union, 2017

Beim Empfang des jungen Kanzlers, der bereits an seinem zweiten Tag im Amt in die EU-Hauptstadt gefahren war, um seine "proeuropäische Haltung" und die seiner Regierung zu untermauern, ging es zwar wieder familiär zu – Juncker ist wie Kurz auch Christdemokrat. Aber eine innige Umarmung unterblieb beim Eintreffen vor Kameras. Auf den Zuruf eines Journalisten, ob er Österreich nach wie vor für einen verlässlichen Partner halte, antwortete Juncker mit einem knappen "Ja".

Proeuropäische Tonalität

Er freue sich, in Brüssel sein zu dürfen, sagte Kurz eine Stunde später bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. Er sei froh, dass Kurz seinen ersten Auslandsbesuch nach Brüssel gemacht habe, gab Juncker zurück. "Es ist ein positives Signal, ein Beweis der Tat für seinen deutlich proeuropäischen Kurs."

Dann stimmte er doch leise kritische Töne an: "Dass ich kein Freund von extrem rechten Parteien bin, ist bekannt. Aber es gehört nicht meinen Gepflogenheiten, eine Regierung in ihre Teile zu zerlegen. Das Programm der Bundesregierung ist stimmig, es hat eine deutlich proeuropäische Tonalität."

Sondergruppe zur Subsidiarität

In der Kommission beurteile man "eine Regierung nach ihrem Programm und nach ihrer Aktivität", er sei nicht bereit, Vorverurteilungen vorzunehmen, sagte Juncker. "Das Programm, das Kurz uns vorgelegt hat, stimmt mich optimistisch, dass die Arbeit der Regierung ein positiver Beitrag zur Union sein wird." In Sachen Subsidiarität, ein wichtiges Ziel der neuen Regierung, werde eine Sondergruppe eingesetzt. Ihr Bericht werde im Sommer vorliegen.

Kurz betonte nach dem Gespräch noch einmal, dass sich Österreich als "proeuropäisches Land" aktiv in der Union beteiligen werde. Man wolle auch besprechen, wie man die Beteiligung künftig noch intensivieren könne. Österreich sei für eine starke EU, die "in großen Fragen gemeinschaftlich, in kleinen Fragen zurückhaltend" auftrete. Bei Fehlentwicklungen müsse es freilich Korrekturen geben, so Kurz, der in diesem Zusammenhang einmal mehr die illegale Migration nannte.

Aus der "ZiB 2": Interview mit Regierungssprecher Launsky-Tieffenthal.
ORF

Doch auch wenn es, anders als vor 17 Jahren bei der Regierungsbeteiligung der FPÖ noch mit Jörg Haider und unter Kanzler Wolfgang Schüssel im Jahr 2000, diesmal seitens der EU-Partner keine offene Ablehnung gibt: Es herrscht doch auch Skepsis, ob die in Europa als EU-skeptische Partei bekannte FPÖ glaubwürdig sei.

Rasche Reisediplomatie

Vor diesem Hintergrund ist auch die rasche Reisediplomatie von Kurz zu verstehen, nicht nur nach Brüssel. Als sicher gilt ein Treffen mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel noch im Jänner in Berlin, sie hat ihn eingeladen. Etwas heikler, aber für Österreich fast bedeutender ist eine zeitnah geplante Reise nach Paris zu Staatspräsident Emmanuel Macron. Schließlich dürfte der Kanzler wie seine Vorgänger auch rasch einen Besuch in Israel absolvieren, um die bilateralen Beziehungen zu festigen.

Treffen mit Tajani

Mittwochfrüh traf Kurz mit EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani zusammen. In einem sehr intensiven Gespräch über alle aktuell wichtigen Fragen wie Terrorbekämpfung, Migration und Arbeitslosigkeit habe man sich auch über Österreichs Beitrag zu EU-Reformen verständigt, wie der Italiener sagte. "Ich freue mich besonders, dass der Bundeskanzler eine positive Botschaft für die EU gebracht hat. Österreich will weiterhin eine Hauptrolle im Reformprozess haben", sagte Tajani. "Ich glaube, dass Europa mit diesem Bundeskanzler große Fortschritte machen wird. Tajani lud den Bundeskanzler zu einer Rede ins EU-Parlament nach Straßburg ein, wo er noch vor Übernahme des EU-Vorsitzes im Juli über alle EU-relevanten Themen reden soll.

Spannungen reduzieren

Kurz sagte zu: "Ich freue mich, dass ich in den ersten 48 Stunden meiner Amtszeit mit allen drei Präsidenten der EU-Institutionen sprechen konnte. Es ist wichtig, dass Österreich in den Reformschritten mitgestalten will. Wir wollen mithelfen, die Migrationskrise gemeinsam zu meistern, sodass die Spannungen zwischen Ost- und Westeuropa wieder reduziert werden." In der Streitfrage der Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler betonte der Kanzler das freundschaftliche Verhältnis zu Italien. Er kündigte an, diese Frage gemeinsam angehen zu wollen, "so wie auch bei der Doppelstaatsbürgerschaft für Österreicher in Großbritannien nach dem Brexit und für Kinder der Opfer des Nationalsozialismus". (Thomas Mayer, 20.12.2017)