Tausende Polen demonstrieren seit Monaten gegen die Justizreformpläne der Regierung – auch mit Fahnen der EU, von der sie sich Hilfe erhoffen.

Foto: APA / AFP / Janek Skarzynski

Bild nicht mehr verfügbar.

Frans Timmermans und....

Foto: Reuters / Francois Lenoir

Bild nicht mehr verfügbar.

....Polens neuer Premier Mateusz Morawiecki haben Gesprächsbedarf.

Foto: REUTERS/Eric Vidal

Brüssel/Wien – Ob der Vergleich angesichts aktueller Debatten über eine nukleare Bedrohung aus Nordkorea wirklich so stilsicher ist, sei dahingestellt: Jedenfalls hat die Europäische Kommission im Streit um die Rechtsstaatlichkeit Polens am Mittwoch das gezündet, was in Brüsseler Kreisen häufig als EU-politische "Atombombe" bezeichnet wird.

Pressekonferenz von Frans Timmermans zum Verfahren gegen Polen.
© European Union, 2017

Konkret geht es dabei um die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Dieses sieht in letzter Konsequenz sogar den Entzug der Stimmrechte eines Mitgliedslandes vor. Hintergrund ist die Sorge, einzelne EU-Staaten könnten sich von demokratischen Grundsätzen wie Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung verabschieden und damit zentrale Werte und Rechtsnormen der Union untergraben. Im Fall Polens, das im Zusammenhang mit seiner Justizreform bereits seit längerem im Fokus Brüssels steht, sieht die Kommission diese rote Linie nun erstmals in der Geschichte der EU überschritten.

Politischer Einfluss auf Justiz

Begonnen hatte der Streit bereits vor knapp zwei Jahren, kurz nachdem in Warschau die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Damals ging es um die Ernennung von Richtern am Verfassungsgericht und um dessen Geschäftsordnung. Der Vorwurf: Die PiS versuche, just jenes Gremium unter ihre Kontrolle zu bringen, das juristisch bedenklichen Gesetzesvorhaben einen Riegel vorschieben könnte. Warschau wehrte sich schon damals gegen die Kritik aus dem In- und Ausland. Vor allem innenpolitisch sorgte die Regierung für eine Eskalation des Streits, als sie sich weigerte, ein Urteil des Verfassungsgerichts im Gesetzesblatt zu veröffentlichen, das die eigene Reform für verfassungswidrig erklärt hatte.

Mit den jüngsten Gesetzen, die vom Parlament kürzlich verabschiedet wurden und das Fass zum Überlaufen brachten, handelte sich die Regierung erneut den Vorwurf ein, wichtige juristische Instanzen unter ihre Kontrolle bringen zu wollen – und zwar den Landesjustizrat, der bei der Bestellung von Richtern eine zentrale Rolle spielt, sowie das Oberste Gericht.

"Schweren Herzens"

"Nach zwei Jahren kann die Kommission nur schlussfolgern, dass es ein echtes Risiko einer schweren Grundrechtsverletzung gibt", erklärte Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans am Mittwoch in Brüssel. Die Kommission habe "schweren Herzens entschieden, Artikel 7 einzuleiten". Allerdings will man Polen noch eine Brücke bauen: Wenn Warschau binnen dreier Monate Schritte zur Rücknahme der Reform setzt, würde die Kommission ihre Entscheidung überdenken. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Timmermans haben für 9. Jänner den neuen polnischen Premier Mateusz Morawiecki nach Brüssel eingeladen.

Doch auch wenn Polen kein Entgegenkommen zeigen sollte, müsste man dort so bald keinen Stimmrechtsentzug befürchten. Der Weg dorthin führt über viele Stufen. Unter anderem müssten alle anderen Mitgliedsländer feststellen, dass tatsächlich eine "schwerwiegende und anhaltende Verletzung" europäischer Werte vorliegt. Das ebenfalls nationalkonservativ regierte Ungarn hat bereits am Mittwoch erneut bekräftigt, eine solche Entscheidung nicht mittragen zu wollen. (Gerald Schubert, 20.12.2017)