Stefan Gottfried vermittelte in Sachen J. S. Bach.


Wien – Dass Sänger kurzfristig Auftritte absagen müssen, gehört nicht nur im Winter zum Alltag stresserprobter künstlerischer Betriebsbüros. Wenn dann auch noch der Dirigent ausfällt, läuten die Telefone schon etwas dringlicher. Als am Tag vor der Aufführung von Bachs Weihnachtsoratorium Ersatz für Philippe Jordan gesucht werden musste, hob Stefan Gottfried nicht nur gleich ab, sondern war kurze Zeit danach bereits bei den Proben mit den Wiener Symphonikern im Wiener Konzerthaus, zu denen einer der rasch herbeigeeilten Sänger auch noch verspätet dazustieß.

Einen kompletten Durchlauf mit den vier exzellenten Solisten Julia Kleiter, Wiebke Lehmkuhl, Maximilian Schmitt (statt Werner Güra) und Manuel Walser (statt Andrè Schuen) gab es erst beim Konzert am nächsten Abend. Doch Gottfried konnte sich auf weit gediehene Vorarbeiten sowie auf Heinz Ferlesch, den Leiter der Wiener Singakademie, und Jordans Assistenten Clemens Jüngling stützen.

So blieb nur die "Kleinigkeit" abweichender interpretatorischer Auffassungen: bei den Tempi und bei Gestus und Phrasierung. Ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen? Nein. Ein Kompromiss? Erstaunlicherweise nur punktuell. Zwar gibt es noch eine Polarität zwischen romantisierend geprägtem Musizieren und der historischen Aufführungspraxis, die Barrieren sind aber durchlässig geworden – und Jordan ist jemand, der die stilistischen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte durchaus zu integrieren pflegt.

Dennoch ist die ästhetische Distanz zu Gottfried, der lange Jahre mit Nikolaus Harnoncourt zusammenarbeitete und nach dessen Tod zu seinem Nachfolger als Leiter des Concentus Musicus Wien wurde, während er hauptberuflich als Professor an der Musikuniversität wirkt, keine geringe. Man muss daher davon ausgehen, dass sein Ansatz für das Orchester ein wenig ungewöhnlich ist.

Zu merken war dies jedoch nur stellenweise bei der Tongebung, die teilweise deutlich geänderten Tempi jedoch saßen ebenso wie die rhetorisch geschärfte Phrasierung und Artikulation. Besonders die großen Eingangschöre des ersten und dritten Teils gelangen Gottfried wie aus einem Guss. Es schien, als hätte der Einspringer tatsächlich Orchester und Chor über weite Strecken in seinem Sinn zu überschäumend lebendigem Musizieren inspiriert. Ob dieser Prozess noch weitergeht, wird sich bei den weiteren (zurzeit ausverkauften) Aufführungen am 21. und 22. 12. zeigen. (Daniel Ender, 20.12.2017)