Antonio Tajani, der Präsident des Europäischen Parlaments, mit Kanzler Sebastian Kurz.

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Zuerst holte sich Kurz in Brüssel den EU-Segen, erst danach trat die neue Regierung vor das Parlament. Vizekanzler Strache bedankte sich herzlich bei Kurz.

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Jetzt habe ich meinen Leuchtstift vergessen!", entfährt es dem jungen Mann. Für einen kurzen Moment scheint er zu überlegen, ob er noch einmal schnell auf Platz 17F im Flugzeug zurückkehren könnte, um ihn zu holen. Er braucht den Stift, um in einem Rededokument wichtige Passagen zu markieren.

Aber fürs Zurücklaufen ist es zu spät. Die Türen des Flughafenbusses, der die Passagiere vom Rollfeld zum Terminal in Wien-Schwechat bringt, sind schon geschlossen. Die Leute stehen dicht an dicht. Eine alltägliche Reiseszene auf einem Linienflug von Brüssel nach Wien, könnte man glauben. Aber normal ist nur wenig an diesem Fluggast.

Einige Passagiere hatten zuvor ihre Smartphones gezückt, um ein Erinnerungsfoto zu machen. So oft trifft man einen neuen Bundeskanzler nicht im Flieger. Nun steht Sebastian Kurz neben ihnen.

Alle Präsidenten der EU-Institutionen

Aber auch für den 31-jährigen Kanzler ist an diesem Mittwoch nur sehr wenig normal. Vielleicht besteht er gerade deshalb darauf, mitten unter Normalbürgern Economy zu fliegen, trotz der Bedenken seiner Personenschützer.

In knapp zwei Stunden beginnt im Nationalrat eine Sondersitzung, bei der er seine Regierungserklärung abgeben wird. Montagmittag ist Kurz von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt worden. Am Dienstag leitete er erstmals den Ministerrat, um dann am Abend in die EU-Hauptstadt zu fliegen. Nur vierzehn Stunden dauerte sein Aufenthalt auf Brüsseler Boden, in denen er den ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk und dann EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker traf. Er erklärte internationalen Journalisten lange, warum es unter ihm als Regierungschef keinerlei Abweichen vom proeuropäischen Kurs Österreichs geben werde – trotz der Beteiligung der FPÖ, die in Brüssel zu den EU-skeptischen extrem rechten Parteien gezählt wird.

Um drei kam er nach dem Feilen an der Regierungserklärung ins Bett, um sieben ging es weiter zu einem Gespräch mit EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani.

Dem versicherte er, wie bei Juncker tags davor, wie sehr er sich "freue, in den ersten 48 Stunden im Amt mit allen drei Präsidenten der EU-Institutionen gesprochen" zu haben. Trotz wenigen Schlafs wirkte Kurz sehr erleichtert.

Positiv und vertragstreu

Warum tut er sich mitten im Regierungsantritt zusätzlich solche internationalen Anstrengungen an? "Es ist mir wichtig festzuhalten, dass Österreich an allen Reformschritten in der Union positiv mitgestalten will", erklärte er bei einem gemeinsamen Auftritt mit Tajani im EU-Parlament. Er wiederholt diesen Satz immer wieder, wo er auch hinkommt.

Bei Juncker betonte er zudem, dass seine Regierung sich "an alle EU-Verträge und -Regeln halten wird". Der Kommissionspräsident hörte das gerne, nur wenige Stunden bevor seine Kommission ein Verfahren gegen Polen wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit eröffnen sollte. Juncker bestätigte ihm daher demonstrativ, dass das Wiener Regierungsprogramm, das er zu des Kanzlers Überraschung bis ins Detail kannte, bei der EU-Politik "stimmig ist" und eine "deutliche proeuropäische Tonalität" habe. Das waren genau die Sätze, derentwegen der Kanzler die Visite in der EU-Hauptstadt angetreten hatte, auch wenn er das so explizit nicht sagen wollte.

Es ging Kurz darum, dass die europäischen Partner in den Mitgliedsländern von höchster EU-Stelle hören sollten, dass es gegen sein Kabinett keine prinzipiellen Einwände, schon gar nicht Sanktionen oder irgendwelche anderen diplomatischen Maßnahmen geben werde, wie im Jahr 2000, als sein Vorgänger Wolfgang Schüssel wegen der FPÖ-Beteiligung in Wien geschnitten worden war.

Juncker ging sogar so weit zu sagen, dass er nicht daran denke, Teile der Regierung – konkret die FPÖ-Minister – herauszugreifen und vorzuverurteilen. Er werde Türkis-Blau in Wien nach ihren Taten beurteilen – nichts sonst.

Noch amikaler zeigte sich der EU-Parlamentspräsident: Er lud "den jungen Kanzler, von dem ich glaube, dass Europa mit ihm große Fortschritte machen wird", zu einer Plenarsitzung nach Straßburg ein, "zu einer Debatte mit den EU-Abgeordneten". Die FPÖ erwähnte Tajani nicht einmal.

Kurz hatte sein zweites Hauptziel erreicht: Österreichs Europapolitik wird in Brüssel fast nur mit ihm in Verbindung gebracht. Die Freiheitlichen sollen in einer nur untergeordneten Rolle wahrgenommen werden. (Thomas Mayer, 20.12.2017)