Cyberwährungen, neue Finanztechnologien, Smartphones als Steuerungseinheit und Datensicherheit – die neuen Techniken verändern die alte Geschäftswelt. Das hat Vor- und Nachteile.

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STANDARD: Warum sollte sich der Finanzsektor für Kryptowährungen wie Bitcoin interessieren?

Athey: Weil unser Finanzsystem ziemlich kaputt ist. Viele Menschen sind sich dessen nicht bewusst. Es kann zwei Wochen dauern, um Geld aus den USA nach Afrika zu transferieren, das Geld fließt möglicherweise durch sechs oder sieben Banken, bis es am Ziel ist. Bei jeder Transaktion entstehen Kosten, können Fehler auftreten. Rund fünf Prozent aller Banküberweisungen gehen schief. Während des Überweisungsvorgangs steht das Geld nicht für andere Verwendungen zur Verfügung. Kryptowährungen machen Überweisungen schnell, sicher und reduzieren Transaktionskosten.

STANDARD: Was unterscheidet Kryptogeld von anderen elektronischen Zahlungsmethoden?

Athey: Sie sind die erste rein digitale Möglichkeit, Wert zu transferieren – ohne Zeitverzögerung, ohne Transaktionskosten und sicher. Einen Bitcoin zu besitzen bedeutet einfach nur, dass Ihnen ein Bitcoin auf einer Datenbank gutgeschrieben wird. Jede Transaktion wird in Echtzeit auf jedem teilnehmenden Computer vermerkt. Bezahlt wird, indem Bitcoins an eine spezifische anonyme Adresse gesendet werden. Niemand muss seine persönlichen Daten preisgeben, wie das bei Kreditkartenzahlungen der Fall ist. Es braucht keine Intermediäre mehr.

"Kartellbehörden dürfen nicht zulassen, dass kleinere Firmen aus dem Markt befördert werden", fordert Susan Athey.
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STANDARD: Wird diese Technologie Banken überflüssig machen?

Athey: Nein. Der traditionelle Bankensektor wird überleben. Konsumenten werden weiter Geld bei Banken einlegen und Kredite nehmen können. Einlagensicherung und andere regulatorische Maßnahmen lassen sich weit besser im traditionellen Banking umsetzen. Kryptowährungen werden das Finanzsystem dort verändern, wo große Friktionen zu hohen Transaktionskosten führen. Zudem werden sie Banken unter Druck setzen, dass diese ihre Gebühren senken und digitale Währungen in ihre Geschäftsmodelle integrieren werden.

STANDARD: Also könnten Bitcoin und Co dazu führen, dass innerhalb des Finanzsystems neue Technologien für internationalen Geldtransfer etabliert werden?

Athey: Genau. Kryptowährungen machen Transaktionen schnell und günstig. Für kleine Banken könnte das ein Vorteil sein, da sie Zahlungen über größere Banken als Intermediäre abwickeln müssen. Auch kleinere Länder mit eigener Währung würden profitieren, wenn z. B. Bitcoins den Euro oder Dollar als zentrale Währungen auf internationalen Märkten ersetzen würden, da der Erwerb dieser Währungen teuer sein kann. Heutzutage werden Bitcoin und andere Kryptowährungen jedoch hauptsächlich aus spekulativen Gründen gekauft – insofern gleichen sie ein bisschen Gold, nur ohne industriellen Wert.

STANDARD: Bitcoin ist für viele Menschen weit weg vom Alltag. Auch bei der möglichen Abschaffung von Bargeld und der Digitalisierung von Zahlungsvorgängen herrscht Skepsis. Dominieren bei solchen Prozessen Einsparungen und Effizienz, oder haben die Menschen recht, wenn sie der Digitalisierung aus Privacy-Gründen misstrauen?

Athey: Ich kann beide Argumente nachvollziehen. Als Gesellschaft müssen wir anfangen, diese Fragen zu diskutieren. Sonst werden wir den Digitalisierungsprozess nicht so gestalten können, wie wir es für richtig halten. Es ist schwer vorstellbar, dass wir in 50 Jahren noch Münzen mit uns herumtragen. Aber eine vollständige digitale Identität hat genauso ihre Probleme und Gefahren, Stichwort Datensicherheit. Andererseits wäre eine digitale Welt auch frei von Steuerhinterziehung und Schwarzmärkten.

STANDARD: Eine Welt ohne Steuerhinterziehung und Schwarzmarkt klingt wie ein Gleichgewicht in einem hoch abstrakten Modell und nicht nach wirklicher Welt.

Athey: So eine Welt wäre natür-lich kein Gleichgewicht in der wirklichen Welt. Menschen würden immer noch Steuern hinterziehen und illegale Güter kaufen, wenn nur digitale Zahlungsmittel legal wären. Man würde wohl auf alternative physische Währungen ausweichen. Bargeld ist immer noch das mit Abstand privateste Zahlungsmittel, das wir haben.

STANDARD: Privacy ist nicht nur wichtig, wenn es darum geht, legale Graubereiche aufrechtzuerhalten. Was, wenn Regierungen Daten von Bürgern sammeln und diese Informationen gegen sie verwenden?

Athey: Mit einer vollständigen Datenhistorie, die sich über Jahrzehnte erstreckt, könnte einiges angestellt werden. Glauben Sie, dass während Ihrer gesamten Lebensdauer keine Regierung auf die Idee kommt, diese gegen Sie zu verwenden? Das gehört zur Debatte, die wir führen müssen. Prinzipiell gilt: Wenn eine Regierung Datensicherheit anbietet, hat sie auch die Möglichkeit, diese wieder zu entschlüsseln. Solange Rechtsstaatlichkeit herrscht, mag die Gefahr, dass auf Ihre Daten zugegriffen wird, vernachlässigbar sein. Aber die Geschichte zeigt auch, dass wir unseren Regierungen oft zu lange blind vertrauen.

STANDARD: Nicht nur Regierungen, auch Unternehmen legen umfangreiche Datenprofile ihrer Nutzer an. Sehen Sie hier Gefahren?

Athey: Unternehmen verwenden Daten hauptsächlich, um neue Transaktionen zu ermöglichen. Wenn ich Ihnen ein Produkt anbiete, das Sie nicht am Radar hatten, von dem ich aber weiß, dass Sie es nachfragen, ist beiden geholfen: mir als Verkäuferin, Ihnen als Konsumenten. Aber natürlich stimmt es, dass mit größerer Marktmacht auch größere Versuchungen und größere Möglichkeiten entstehen, diese anhand von Daten zu missbrauchen. Deshalb ist Wettbewerb so wichtig.

STANDARD: Dabei beobachtet man in vielen digitalen Branchen starke Marktkonzentration ...

Athey: Weil die digitalen Industrien riesige Skalenerträge aufweisen und relativ hohe Eintrittsschranken. Man kann aber erwarten, dass sich zwei oder drei Firmen in einzelnen Segmenten halten können. Kartellbehörden müssen sehr vorsichtig sein und dürfen nicht zulassen, dass kleinere Firmen aus dem Markt befördert werden. Solange Konsumenten Alternativen haben, haben Firmen Anreiz, Kundeninformationen zur Verbesserung ihres Produkts zu verwenden. Sobald sie den Markt für sich alleine haben, werden Kundendaten nicht mehr ausschließlich für die Verbesserung ihres Produkts ausgewertet.

STANDARD: Sondern?

Athey: Nehmen Sie Facebook: Immer wenn ein potenziell gefährlicher Konkurrent aufkam, hat Facebook diesen gekauft. Das hält den Wettbewerb in dieser Branche klein. In traditionellen Märkten haben Firmen wenige Optionen, auf neue Wettbewerber zu reagieren: besseres Produkt oder niedrigerer Preis. In digitalen Märkten ist das anders. Wenn z. B. eine österreichische E-Commerce-Seite online geht und Google ein ähnliches Angebot im Portfolio hat, kann Google den Traffic auf seiner Suchmaschine zum eigenen Produkt leiten statt den eigenen Service zu verbessern.

STANDARD: Kann das mit Regularien verhindert werden?

Athey: Die Plattform muss ein faires Spielfeld für alle Bewerber sein. Mit großer Macht kommt große Verantwortung – es sollte verboten sein, dass Firmen Suchresultate zu ihren eigenen Gunsten manipulieren. Für europäische Unternehmen ist das besonders wichtig. Europa wird keine eigene Suchmaschine haben, das wäre zu teuer. Aber Europa kann große E-Commerce-Plattformen, Reiseportale etc. haben. Gerade für digitale Start-ups sind Suchmaschinen nach wie vor der Hauptkanal der Kundenakquise – ohne auf Google präsent zu sein, kann man schwer in diese Märkte eintreten.

STANDARD: Und wenn Unternehmen Datensicherheit und Anonymität als Verkaufsargument einführen? Könnte eine neue Suchmaschine mit Google mithalten, wenn sie glaubwürdig vermitteln könnte, dass sie Daten hinreichend anonymisiert und nach einem bestimmten Zeitraum wieder löscht?

Athey: Microsoft hat das probiert – es hat nicht besonders gut funktioniert. Aktivisten und kleine Konsumentengruppen haben diese Strategie geschätzt, der großen Mehrheit der Nutzer waren diese Privacy-Maßnahmen jedoch relativ egal. Das ist auch keine Überraschung. Denn wie sollen Nutzer denn die Services vergleichen? Sie können nicht wissen, ob Unternehmen A oder Unternehmen B ihre Daten besser schützt.

STANDARD: Wo liegen die Vorteile der digitalen Industrie?

Athey: Manchmal helfen Intermediäre kleineren Akteuren, gegenüber größeren, etablierten Marktteilnehmern überhaupt wettbewerbsfähig zu sein. Über Facebook oder Google News ist es weitaus einfacher, kleinere Nachrichtenseiten zu finden. Ohne des Intermediärs würden Sie nie von der Existenz dieser Anbieter erfahren. Die Schattenseite: Nichtfaktenbasierte Infos werden eher über kleine Webseiten verbreitet, die nur über Suchmaschinen oder soziale Medien gefunden werden können. Bei der US-Wahl habe ich gezeigt, dass Google Fake-News benachteiligt, da der Algorithmus die Reputation der Nachrichtenanbieter berücksichtigt. Facebook aber lebt davon, dass die Nutzer selbst Inhalte teilen. Deshalb ist man in den sozialen Medien häufiger Fake-News begegnet. Aggregatoren können unseriösen Anbietern große Aufmerksamkeit ermöglichen. Aber sie können auch die Qualitätssicherung verbessern.

STANDARD: Sie denken an Uber.

Athey: Unter anderem. Uber und Lift verwenden ein Ratingsystem: Die Bewertung der Fahrer führt dazu, dass diese höflich sind, ihre Autos sauber und ihr Fahrstil sicher. Über die genutzten Smartphones wird die Sicherheit der Fahrgäste überwacht, indem etwa erfasst wird, ob Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten wurden. Die neuen Technologien können also die Qualität von Produkten enorm verbessern, ohne dass dadurch große Eintrittsbarrieren entstehen würden. (Aloysius Widmann, Niklas Gebhard, 26.12.2017)