Lima/Puebla – Wie beim Schach hat sich Zug um Zug die Schlinge enger gezogen um Perus Präsidenten Pedro Pablo Kuczynski. Und als dieser merkte, dass er in der Falle saß, blieb ihm nur noch die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: Am Weihnachtsabend begnadigte er seinen wegen Korruption und Menschenrechtsverbrechen zu 25 Jahren Haft verurteilten Vorgänger Alberto Fujimori aus humanitären Gründen.

"Ein Ärzteteam hat bestätigt, dass Fujimori eine degenerative Krankheit hat und in Haft sein Leben riskiert", begründete Kuczyn ski seine unpopuläre Entscheidung, die er zwar rechtlich treffen durfte, die aber den eigenen politischen Niedergang beschleunigen dürfte – und sogar völkerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte.

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Mehr als 5.000 Peruaner forderten den Rücktritt des Präsidenten.
Foto: REUTERS/Mariana Bazo

Rücktritte und Unruhen

Noch in der Nacht kam es zu ersten Protesten; zwei Abgeordnete und weitere Funktionäre aus Kuczynskis Fraktion traten aus Protest zurück. Am Montag kam es zu Unruhen, als die Polizei in Lima Tränengas einsetzte und mittels Barrikaden die tausenden Demonstranten daran hinderte, zu Fujimoris Krankenhaus vorzudringen.

Fujimori hatte nicht nur das Land geplündert und seinen Clan bereichert, sondern auch politische Gegner verfolgen und von Todesschwadronen ermorden lassen.

Viele verehren den Exdiktator, der auch das Parlament auflösen ließ, trotzdem wegen seiner harten Hand gegen die Terroristen des Leuchtenden Pfades und für seine Infrastrukturprojekte in den ärmsten Regionen.

Entschuldigung in Facebook-Video

Nach seiner Begnadigung hat sich Fujimori in einem auf Facebook veröffentlichten Video nun erstmals für seine Taten entschuldigt. Dabei liegt er in einem Spitalsbett. "Ich räume ein, dass ich einen Teil meiner Mitbürger enttäuscht habe", sagte Fujimori. Zudem äußerte er eine "tiefe Dankbarkeit für den komplexen Schritt" des Präsidenten. Die Bevölkerung bat er "aus tiefstem Herzen um Entschuldigung."

Mit Bildern von Opfern der Fujimori-Regierung, machen die Demonstranten auf die Verbrechen aufmerksam.
Foto: AFP PHOTO / Juan Vita

Politischer Deal

Die Begnadigung Fujimoris war Teil eines Deals, dem Kuczynski, bekannt als "PPK", sein politisches Überleben verdankt. Vor eineinhalb Jahren war er nur mit hauchdünnem Vorsprung an die Macht gekommen. Doch seine Gegnerin, Fujimoris Tochter Keiko, setzte alles daran, um mit ihrer Parlamentsmehrheit, der Fuerza Popular, ihm das Leben schwerzumachen.

Hilfreich waren ihr dabei die Korruptionsermittlungen in Brasilien rund um den Baukonzern Odebrecht. Der inhaftierte Marcelo Odebrecht gab zu, auch in Peru Politiker heftigst geschmiert zu haben – darunter die Expräsidenten Alan García, Alejandro Toledo und Ollanta Humala. Auch in Keiko Fujimoris Kampagne seien Gelder geflossen, und PPKs Consultingfirma habe ein Beraterhonorar in der Höhe von knapp 800.000 US-Dollar kassiert, als dieser selbst noch Minister war.

Humala landete im Gefängnis; gegen den in die USA geflüchteten Toledo läuft ein Auslieferungsverfahren; Keiko und García konnten vor einem stümperhaften Ermittlungsausschuss im Kongress die Ermittler ausbremsen und bliesen zum Gegenangriff: Teil der Offensive war eine Verfassungsklage gegen die Staatsanwaltschaft sowie ein Amtsenthebungsverfahren gegen PPK.

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Auch nahe des Spitals, in dem Fujimori untergebracht ist, machten die Protestierenden auf ihren Ärger aufmerksam.
Foto: REUTERS/Mariana Bazo

Gespaltenes Land

Die peruanische Bevölkerung ist zwar der Korruption ihrer politischen Klasse überdrüssig, ist aber angesichts des Verfahrens in zwei Lager gespalten. Die einen fürchten eine autoritäre Machtübernahme des Fujimori-Clans und plädieren für den Verbleib PPKs im Amt – als kleineres Übel. Die anderen hoffen, durch die Amtsenthebung eine ineffiziente, neoliberale Regierung loszuwerden und Neuwahlen zu erzwingen.

Schließlich rettete ein Geschwisterzwist PPK: Er paktierte mit Keikos Bruder Kenji, ebenfalls Kongressabgeordneter. Durch die Gegenstimmen von neun Kenji nahestehenden Abgeordneten sowie durch Enthaltungen und Gegenstimmen der Linken kamen für eine Amtsenthebung nicht genügend Stimmen zusammen.

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Zwischen Polizei und Demonstrierenden kam es in Lima zu Zusammenstößen.
Foto: reuters/Mariana Bazo

Kenji dankte nach der Freilassung PPK für die "noble Geste", für die die Familie ewig dankbar sei; Keiko sprach von einer "Nacht der Freude". Die Opferverbände hingegen sprachen von einem "schwarzen Moment". "Das verstößt gegen völkerrechtliche Urteile und könnte vom Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof für illegal erklärt werden", sagte Anwalt Carlos Rivera.

Für Steven Levitsky von der Uni Harvard droht Peru Instabilität und ein Machtkampf zwischen Kenji und Keiko. Und auch PPK ist noch nicht auf der sicheren Seite: Gegen ihn laufen weitere Justizermittlungen wegen Odebrecht.

"Dr. Jekyll und Mr. Hyde"

Von einem "politischen Schachspiel", sprach der Journalist Federico Salazar. Fujimori werde nun trotz seiner 79 Jahre eine wichtige Rolle spielen. Mit dem Drama um das Amtsenthebungsverfahren habe er sowohl PPKs Partei als auch den Frente Amplio und Garcías sozialdemokratische Apra gespalten – und gleichzeitig die Fuerza Popular um Kenji als "Antifujimorismus des Fujimorismus" etabliert, als demokratischen Flügel einer autoritären Partei. Salazar: "Ein genialer Schachzug, fast wie bei Dr. Jekyll und Mr. Hyde." (Sandra Weiss, 26.12.2017)