Hristo Iwanow, vormals bulgarischer Justizminister (links, in Luxemburg 2015), ist skeptisch in Bezug auf die EU-Ratspräsidentschaft seines Landes im ersten Halbjahr 2018.

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Als das Stadtgericht Sofia zu wanken begann, der wichtigste und mutmaßlich korrupteste Gerichtshof Bulgariens, fuhr Hristo Iwanow nach Brüssel. "Das ist der Moment", sagte er Frans Timmermans, dem Vizepräsidenten der EU-Kommission. "Wenn wir jetzt Druck machen für ernsthafte Untersuchungen, dann könnte das der Beginn der Operation 'Saubere Hände' in Bulgarien sein." Der bulgarische Justizminister wurde enttäuscht.

"Die Kommission versagte mir die Unterstützung", sagt Iwanow rückblickend während eines langen Gesprächs in Sofia. Die Präsidentin und zwei Richterinnen des Stadtgerichts traten 2015 zurück, wurden aber offensichtlich wegen ihrer politischen Verbindungen nicht zur Rechenschaft gezogen. "Mani pulite" – der Feldzug gegen Korruption und Ämtermissbrauch, der Italiens Politik in den 1990er-Jahren umgewälzt hatte – kam nie nach Bulgarien. Dafür übernimmt das kleine Balkanland am 1. Jänner erstmals die sechsmonatige Ratspräsidentschaft der Europäischen Union.

Elf Jahre Justiz-Monitoring

Es ist ein kompliziertes Bild: Auch nach elf Jahren Beobachtung und Kontrolle durch die EU-Kommission – seit Bulgariens Beitritt zur Union im Jänner 2007 – ist es dem Land nicht gelungen, den europäischen Standard bei der Unabhängigkeit der Justiz und bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität zu erfüllen. Mehr als die Hälfte dieser Zeit regierte der amtierende Premier Boiko Borissow, dessen Partei der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) angehört.

Borissow ist sehr bequem für die deutsche Kanzlerin und damit auch für die EU-Kommission in Brüssel, erklärt der 43-jährige Hristo Iwanow, ehemals Justizminister des Reformblocks, Borissows Koalitionspartner von 2014 bis 2016. Borissow, der leutselige, bullige Bulgare, schießt nicht quer und hat – auf den ersten Blick – keine Meinung. Das ist viel wert in Zeiten von Brexit, Victor Orbán und Jarosław Kaczyński. "Wenn es in Brüssel ein Dossier gibt, und die Deutschen haben eine klare Position dazu, dann stimmen wir mit den Deutschen", sagt Iwanow. "Und andernfalls so, wie es die Kommission tut. Es gibt keine eigene bulgarische Position."

Merkels Mitverantwortung

Angela Merkel kommt das entgegen. Doch Berlin wie auch Brüssel tragen damit eine Mitverantwortung für das Fortbestehen von Korruption und Mafia in Bulgarien, klagt Iwanow: "Sie sehen über diese Kreise hier hinweg." Die spärliche Berichterstattung über Bulgarien in den deutschen Medien – anders als etwa über Polen oder Ungarn – komme noch dazu, sagt Iwanow: Bulgarien wird gar nicht erst ein politisches Thema in Berlin.

Iwanow, heute Vorsitzender der kleinen liberalen Reformpartei "Ja, Bulgarien", war vor seinem Wechsel in die Politik ein führender Vertreter der bulgarischen Zivilgesellschaft. Von mangelnder Unterstützung für den damaligen Justizminister will die EU-Kommission heute nichts hören. Man kommentiere keine Kommentare, erklärt ein Sprecher auf Anfrage. Er verweist auf die jährlichen Berichte der Kommission im Rahmen des sogenannten Kontroll- und Kooperationsverfahrens (CVM) mit Bulgarien.

17 "Empfehlungen" haben die Justizexperten in Brüssel zuletzt im Jänner des nun zu Ende gehenden Jahres der bulgarischen Regierung an die Hand gegeben. Keine dieser Vorgaben sei zufriedenstellend erfüllt, hielt die EU-Kommission in ihrem jüngsten Überprüfungsbericht im November fest. Doch das ist nicht wirklich ein Problem, weder für Sofia noch für Brüssel. Wenn der Reformkurs von der Politik entschlossen fortgesetzt werde, so heißt es in dem Bericht, dann sollte Bulgarien in der Lage sein, die ausstehenden CVM-Empfehlungen "in naher Zukunft" zu erfüllen.

Putin im Hintergrund

Hristo Iwanow trat vor zwei Jahren, im Dezember 2015, als Justizminister zurück. Eine parteiübergreifende Mehrheit hatte sich plötzlich im Parlament gefunden, um ein Detail in Iwanows Reformprojekt zu ändern. Die Abgeordneten verzichteten überraschend auf ein höheres Quorum, das ihnen der Justizminister bei der Bestellung von Staatsanwälten im Obersten Justizrat, dem Selbstverwaltungsorgan der Judikative, geben wollte. Es war ein stilles Einvernehmen der Politiker mit dem mächtigen Generalstaatsanwalt – so lautete damals wie heute die allgemeine Einschätzung: Der oberste Staatsanwalt des Landes musste keine Schmälerung seines Einflusses hinnehmen und verschont dafür die Abgeordneten. Die Mehrheit von ihnen sind Geschäftsleute.

Boiko Borissow regiert mittlerweile nicht mehr mit den Reformern – sie scheiterten bei den Parlamentswahlen im Frühjahr –, sondern mit rechtsgerichteten Nationalisten. Die sind russlandfreundlich, ebenso wie die Sozialisten und die Geschäftsleute-Partei der türkischen Minderheit. Die Nachsicht, die Deutschland und die EU gegenüber Bulgarien walten lassen, stärkt auch das prorussische Milieu in Politik und Wirtschaft, sagt Iwanow. Bulgarien dürfe nicht das trojanische Pferd der Russen in Europa werden, hatte der frühere Präsident Rossen Plewneliew immer wieder gewarnt. Es ist längst schon passiert, sagt Hristo Iwanow. "Jede sensible Information, die in Sofia weitergegeben wird, ist innerhalb von drei Stunden auf Putins Schreibtisch." (Markus Bernath aus Sofia, 27.12.2017)