Wilhelm Droste, "Ungarische Zustände". E-Book. € 2,99 / 57 Seiten. Rowohlt Rotation, Berlin 2017

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Die letzte Zeile aus der "Ungarischen Schöpfungsgeschichte" von Peter Hammerschlag referiert inhaltlich wie phonetisch auf die Einzigartigkeit des Magyarentums. Für Nichtlateiner: Außerhalb Ungarns gibt es kein Leben. Hammerschlags legendäres Epos ist auch augenzwinkernder Trost für die Einsamkeit, in die das – oft hingebungsvoll gepflegte – ungarische Unikum führen kann.

Um eine Liebeserklärung handelt es sich auch beim Essay des deutschen Autors Wilhelm Droste. Wobei an die Stelle der Ironie das Leiden an den "ungarischen Zuständen" tritt. Die von Premier Viktor Orbán ausgerufene "illiberale Demokratie" trifft vor allem Medien und Kulturschaffende. Auch unter Berufung auf einen angeblichen historischen Sendungsauftrag strebt der Staat nach voller Kontrolle über die Gesellschaft. Das Land befinde sich in einer "gespenstischen Gefangenschaft", schreibt Droste. Vor allem seine sensibelsten Bürger – Dichter, Denker, Künstler – lebten "in tiefster Resignation und Isolierung".

Drostes Liebesverhältnis begann in den 1970er-Jahren, als er als Germanist und Lektor erstmals nach Budapest kam. Dort ließ er sich 1989, noch vor der Wende, ständig nieder. Im selben Jahr heiratete er die Filmemacherin Ildikó Enyedi. Im Essay verflicht er seine persönliche Geschichte mit jener der ungarischen Hauptstadt und des Piaristenpalasts an der Elisabethbrücke. Daraus wird ein oft sehr berührender Text. Etwa wenn der Autor eine Hymne auf die ungarische Sprache anstimmt, welcher er "eine wunderbare Bewusstseinserweiterung, ein sinnlich fühlendes Vorantasten des Denkens" verdanke.

Trotz dieses Einfühlungsvermögens hat Droste für die aktuellen Verhältnisse keine Erklärung. Trost und Hoffnung gibt es dennoch. Nach zwei Kulturcafés, die er in Budapest bereits gegründet hat, plant er nun im Piaristenpalast eine weitere, größere Begegnungsstätte, einen Ort der Offenheit. Wenn es auch kein Leben außerhalb Ungarns geben mag – jenseits seiner heutigen Zustände gibt es eines. (Josef Kirchengast, 27.12.2017)