Seit bald eineinhalb Jahren wird die Türkei mit Notstandsdekreten regiert, die immer aufs Neue verlängert und im Umfang sehr viel weiter gefasst werden, als es ein Schutz- und Aufklärungsinstrument gegen die Initiatoren des Putschversuchs vom 15. Juli 2016 nahelegen würde.

Der Präsidentenpalast in Ankara, so scheint es, regelt alles, wie die beiden jüngsten Dekrete von Staatschef Tayyip Erdogan wieder zeigen: von der Gesundheitsvorsorge für Richter über die Entlassung von 144 Gewerkschaftsmitgliedern aus dem Staatsdienst bis zur Legalisierung von Selbstjustiz im Kampf gegen den "Terrorismus". Letzteres allerdings markiert einen neuen Höhepunkt in diesem Regime des dauernden Ausnahmezustands.

Widerstandskämpfer

In letzter Konsequenz heißt es: Einen Erdogan-Kritiker auf der Straße zu erstechen ist unter Umständen okay. Denn so weit und so vage ist der Begriff des "Terror" in der Türkei geworden, dass ein Bürger, der einen umstürzlerischen Geist wittert und zur Tat schreitet, nun vor Gericht als Widerstandskämpfer durchgehen könnte. Und hatte ein Präsidentenberater nach dem vereitelten Putsch nicht auch schon nach der Bewaffnung der Zivilbevölkerung gerufen?

Die türkische Regierung beeilt sich jetzt, den Sachverhalt klarzustellen. Der Passus im Notstandsgesetz ist gleichwohl schwammig. Das wäre vermutlich nicht passiert, hätte das Parlament das Gesetz erarbeitet und debattiert. In der Türkei hat es aber nicht mehr viel zu sagen. (Markus Bernath, 27.12.2017)