Kunterbunt und wohlschmeckend: So wünscht man sich Pillen und Pulver. Spezielle Verfahren sollen den an sich bitteren Geschmack maskieren.

Foto: Getty Images / iStockphoto

Graz/Wien – Gesundheitliche Einschränkungen, nachlassende kognitive Fähigkeiten und Einsamkeit sind des Alters Last. Stoffwechsel- und Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Probleme, Diabetes und Übergewicht machen Medikamente zum täglichen Begleiter. Rund 800.000 von 8,77 Millionen Österreichern sind 75 Jahre und älter. Im Jahr 2014 bejahten laut Statistik Austria 89 Prozent dieser Altersgruppe die Einnahme eines ärztlich verschriebenen Medikaments in den vergangenen 14 Tagen.

Ein Morgen beginnt dann schon mal mit der Einnahme von zehn unterschiedlichen Tabletten: Die noch steife und zittrige Hand drückt aus dem Blister eine mehr oder weniger große Tablette, nimmt sie mit mehrmaligem Anlauf zwischen die Finger und führt sie zum Mund. Dort entfaltet sie bereits den Geschmack, ehe der Patient das Wasserglas mit zwei Händen ansetzt und die Tablette mit viel Wasser hinunterschluckt. Schlimmstenfalls wird die Tablette verschluckt oder sie bleibt in Form einer Kapsel in der Speiseröhre kleben. Dort bewegt sie sich länger nicht vom Fleck.

Jede Einnahme ist mühsam und bettlägerigen Patienten fällt sie umso schwerer. Schmeckt die Tablette zudem bitter, wird sie oft abgelehnt. Bei Medikationsfehlern treten Krankheitsbilder erneut auf. Das Gesundheitssystem wird belastet.

Direktgranulat

Neue Technologien in der Pharmazie machen die Präparate kleiner. Sie reduzieren die Tablettenanzahl durch die Kombination mehrerer Wirkstoffe zu einem Fixpräparat oder verbessern den Geschmack mithilfe von sogenanntem Taste-Masking. Das Research Center Pharmaceutical Engineering (RCPE) entwickelt in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen und industriellen Partnern neue Verabreichungsformen und Herstellungsverfahren für pharmazeutische Produkte. Es ist ein K1-Kompetenzzentrum im Eigentum der Technischen Universität Graz, der Universität Graz und von Joanneum Research. Gefördert wird es im Rahmen des Kompetenzzentrenprogramms Comet der Forschungsförderungsgesellschaft FFG.

Sharareh Salar-Behzadi, Pharmazeutin und Principal Scientist, forscht im Rahmen eines aktuellen Projekts zu "multipartikulären Systemen oraler Darreichungsformen", das sind Pulverformen, die man von Magnesium-Päckchen kennt. Es ist ein Direktgranulat, das ohne Wasser auf der Zunge zergeht. Es erleichtert die Einnahme. Aber ohne Hilfsstoffe schmeckt es bitter. "Wir evaluieren den Geschmack unbekannter Wirkstoffe und arbeiten an neuen Formulierungen für Geschmacksmaskierung und leichtere Einnahme. Sie sollen jederzeit ohne Wasser einnehmbar sein. Die Vielzahl an Kleinstpartikeln breitet sich im Mund besser aus und macht das Geschmacksempfinden im Vergleich zu einer Tablette viel intensiver", sagt Salar-Behzadi.

Für eine Geschmacksmaskierung gibt es vielerlei Wege: Die Tablette ist mit einem Schutzfilm überzogen. Der Zusatz von Geschmacksstoffen reduziert den unerwünschten Geschmack oder Geschmacksrezeptoren der Zunge werden durch Hilfsstoffe blockiert. Die am RCPE angewendeten Überzüge sind wasserunlösliche Lipide. Sie setzen Wirkstoffe schnell wieder frei. In einem geschlossenen Behälter, einer Fluid-Bed-Anlage, werden diese Lipide in geschmolzener Form auf die pulverisierten Medikamente gesprüht. Das geschieht bei Temperaturen von 20 Grad unter deren individuellem Schmelzpunkt. Das Hot Melt Coating (HMC) ist ein schnelles und somit kostengünstiges Verfahren.

Kindgerechte Medikamente

Im Kontext der personalisierten Medizin ist es wichtig, nicht nur ältere Patienten zu berücksichtigen. Schließlich leben 1,35 Millionen Kinder unter 16 Jahren in Österreich. Sie entscheiden mit, ob Produkteigenschaften annehmbar sind. "Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) sehen einen eigenen Plan für die Herstellung von Kinderpräparaten vor. Eine Geschmacksmaskierung ist Teil davon, aber auch der visuelle Aspekt. Zudem unterliegt ein Kind seiner körperlichen Entwicklung. Man kann nicht jeden Hilfsstoff verwenden", so Salar-Behzadi.

Eine Medikamentenfreigabe durchläuft mehrere Studien. Vorab evaluiert das RCPE die Bitterkeit der Substanzen mit In-vitro- Methoden. "Der Geschmack beeinflusst, wie ein Arzneimittel entwickelt und in welcher Form ein Wirkstoff verabreicht wird. Zu Beginn der Entwicklung weiß man nicht, wie ein neues Molekül schmecken wird beziehungsweise ab welcher Konzentration ein Stoff anfängt, bitter zu schmecken", erklärt Salar-Behzadi. Sie ergänzt: "Die spezifischen Substanzen verbinden sich mit mehr als einem Rezeptor im Mund. Genauso können feine chemische Unterschiede bewirken, dass eine Substanz süß schmeckt. Uns interessiert die Selektivität dieser Rezeptoren, um den bitteren Geschmack präziser evaluieren zu können."

Innovative Methoden optimieren Medikamente – idealerweise altersunabhängig. Mit jedem neu entdeckten Molekül geht auch das Taste-Masking in die nächste Generation. (Sandra Fleck, 29.12.2017)