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Staatsmann, Patriot, Liberaler: Gustav Ernst Stresemann.

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Auf der Chaiselongue empfängt der deutsche Außenminister Stresemann in der aktuellen Serie "Babylon Berlin" den Chef der politischen Polizei, August Benda. Es ist eine Szene aus einer Folge der zweiten Staffel, in der die polarisierenden Ereignisse des Jahres 1929 zunehmend in den Mittelpunkt rücken. Für die Macher von "Babylon Berlin" beginnt die deutsche Katastrophe nämlich vier Jahre vor 1933.

Dass Gustav Stresemann nach langen gesundheitlichen Problemen im Oktober 1929 eines natürlichen Todes starb, setzt der Fantasie der Fernsehserie historische Grenzen. Man sieht deutlich, dass Achim von Borries, Henk Handloegten und Tom Tykwer ihn als Gegenspieler der reaktionären Kräfte in einem immer noch vom Ersten Weltkrieg gezeichneten Deutschland gern so positioniert hätten, dass er – wie sein Zeitgenosse Walther Rathenau schon 1922 – zu einem Opfer des Rechtsterrorismus hätte werden können.

Akte der politischen Deklaration

Es fügt sich merkwürdig, dass nun ausgerechnet die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) in diesen Tagen, in denen das vieldiskutierte "Babylon Berlin" die Weimarer Republik wieder in den Blick nahm, die Absicht bekundet, ihre parteinahe Stiftung nach Gustav Stresemann (1878–1929) benennen zu wollen. Im Namen der entsprechenden Persönlichkeit steckt immer ein Akt der politischen Deklaration: Konrad Adenauer für die CDU, Friedrich Ebert für die SPD, Heinrich Böll für die Grünen oder Rosa Luxemburg für die Linke – in allen diesen Fällen ist die Botschaft klar und die Herleitung problemlos.

Bei Stresemann und der AfD verhält sich die Sache wesentlich komplizierter. Das wird auch bei dem zweiten Namen deutlich, mit dem sich die AfD gern schmücken würde: Mit Johann Gottfried Herder (1744–1803) kann man eine deutsche Leitkultur nur begründen, wenn man das Werk dieses Universalgelehrten einer vielfach ausdifferenzierten Menschheitsgeschichte sehr einseitig liest.

Mit Stresemann könnte die AfD ein "Erbe" antreten, in dem sich "die perfekte moderne Kombination aus Patriotismus und Liberalismus" zeige, so deren Vorsitzender Alexander Gauland. Von den Schwierigkeiten, mit Stresemann politische Traditionen nach 1945 zu begründen, zeugte aber schon 1957 die Kontroverse um Harald Brauns biografischen Spielfilm "Stresemann".

Angst vor der Schutzmacht

Damals ging es darum, aus dem Geist eines sich neu formierenden Europa an den Politiker zu erinnern, der erst in den frühen 1920er-Jahren auf eine Linie des Ausgleichs mit Frankreich umgeschwenkt war. Zugleich durfte der "Friede am Rhein" nicht so dargestellt werden, dass sich daran der Antiamerikanismus inspirieren könnte – es war eine der zeitgenössischen Konstellationen des Jahres 1957, dass mit der größten Schutzmacht nach dem Zweiten Weltkrieg besonders sensibel umzugehen war. Daraus entstand für Harald Braun ein kompliziertes Hin und Her zwischen immer neuen Drehbuchentwürfen und Eingaben der Kinobürokratie in Bonn. Es ging darin auch um Details wie jenes, ob dem Publikum zwölf Jahre nach 1945 und fast 40 Jahre nach Versailles die Information zuzumuten wäre, dass Straßburg einmal eine deutsche Stadt gewesen war.

In "Babylon Berlin" wird der Ernstfall eines Anschlags auf Gustav Stresemann so konkret wie möglich heraufbeschworen. In der holzschnittartigen Kontur der politischen Fraktionierungen der Zeit kommt die vorgeblich komplexe Fernsehserie über die platten Dramaturgien des Nachkriegsfilms nicht weit hinaus. Aber wenn man die vor Weihnachten mit großem Erfolg gelaufene Serie als neuen Maßstab für populäre Erzählungen über die Weimarer Republik nimmt, dann hätte die AfD mit ihrem Versuch einer Vereinnahmung von Stresemann vor allem eines erreicht: sich selbst offensiv mit einer chaotischen Phase der deutschen Demokratiegeschichte zu identifizieren, die heute allgemein als Warnsignal gelesen wird. (Bert Rebhandl aus Berlin, 28.12.2017)