Das gebrandschatzte Parteihaus der islamischen KIU in Raniya, nördlich von Sulaymaniya.

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Erbil/Bagdad/Wien – Erst drei Monate ist es her, dass viele Menschen in der nordirakischen autonomen Region Kurdistan ihr Referendum bejubelten: Damit sollte nach dem Willen des inzwischen zurückgetretenen Präsidenten Massud Barzani der Grundstein für Verhandlungen gelegt werden, die innert zwei Jahren zur Unabhängigkeit führen sollten. Die irakischen Kurden wollten ihre Belohnung, die sie sich im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) erworben hatten, einfahren.

Mit der gewalttätigen Antwort der Zentralregierung in Bagdad hatten sie jedoch nicht gerechnet: Irakische Truppen und schiitische Milizen drängten ab Mitte Oktober die Kurden aus allen "umstrittenen" Gebieten, inklusive Kirkuk, in denen sie – entgegen allen auch internationalen Warnungen – ebenfalls über die Unabhängigkeit abstimmen hatten lassen.

Seitdem wird die Lage meist mit "Die Kurden haben alles verloren, was sie seit 2003 gewonnen hatten" zusammengefasst. Allerdings haben die Ereignisse auch aufgezeigt, wie sehr die Kurden selbst politisch gespalten sind, sogar in der relativ kleinen irakischen Kurdenregion.

Gradueller Druck der Verbündeten

Obwohl die kurdische Regionalregierung inzwischen das Urteil des Höchstgerichts in Bagdad, dass das Referendum verfassungswidrig sei, akzeptiert hat, sind die Strafmaßnahmen, die Bagdad über Kurdistan verhängte, noch immer in Kraft. Die internationale Gemeinschaft – inklusive der USA, auf deren Unterstützung die Kurden am meisten gezählt hatten – sah der Demütigung der Kurden zu. Aber sie erhöht nun graduell den Druck auf Bagdad, den Autonomiestatus Kurdistans zu respektieren und die Region wieder in die Normalität zu entlassen.

Speziell Premierminister Haidar al-Abadi, der im Mai Parlamentswahlen zu schlagen hat, scheint sich jedoch in seiner neuen Rolle als starker Mann zu gefallen: als Bezwinger des IS – natürlich eine Illusion – und der Kurden gleichermaßen.

Abadi bewegt sich doch

Seit Dienstag gibt es aber erstmals wieder Bewegung: Abadi scheint nun der Aufforderung nachzukommen, in Gespräche mit Kurdistan einzutreten. Vorerst werden sie "technischer" Natur sein, wie Abadi laut dem kurdischen Onlinemedium "Rudaw" in seiner wöchentlichen Pressekonferenz mitteilte. Dabei wird es etwa um die Kontrolle der internationalen Grenzen und Grenzübergänge Kurdistans gehen, die Bagdad für sich beansprucht.

Eine dringende Frage für die Kurden ist auch die von Bagdad verordnete Flugsperre, die die Flughäfen im Autonomiegebiet lahmlegt. Sie war auf drei Monate veranschlagt, und es gab Hoffnungen, dass Bagdad sie nicht neu verhängt. Es geht dabei um die Präsenz irakischer Behörden auf den Flughäfen – etwas, das laut Diplomaten mit gutem Willen leicht zu lösen wäre. Dennoch verlängerte Abadi das Flugverbot am Mittwoch um weitere zwei Monate.

Für die kurdische Regionalregierung geht es nicht nur um das Verhältnis zu Bagdad, sondern auch um das zur eigenen Bevölkerung. Durch den Verlust der Ölfelder von Kirkuk, die die Kurden 2014 übernommen hatten, verschärfte sich die prekäre finanzielle Situation im Autonomiegebiet dramatisch: Fast eineinhalb Millionen öffentliche Angestellte erhielten zuletzt keine Gehälter mehr.

Parteibüros abgefackelt

Die Wut darüber entlud sich vergangene Woche vor allem in der Provinz Sulaymaniya, wo die regierende, von der Familie Barzani dominierte KDP am wenigsten Anhänger hat: Bei den Protesten wurden aber nicht nur KPD-Büros, sondern auch die der anderen Parteien angegriffen – PUK, Gorran, Komal und KIU (letztere sind islamische Parteien). Peschmerga und Polizei gingen gewaltsam gegen die Demonstranten vor, es gab (den meisten Quellen zufolge) sechs Tote. Hunderte Menschen wurden festgenommen. Gorran und Komal verließen die Regierung, der Präsident des kurdischen Parlaments, Youssef Mohammed (Gorran), trat zurück.

Zum wirtschaftlichen Druck und zu den Infrastrukturmängeln kommt die Frustration: Die Menschen werfen ihrer Führung Korruption und politische Fehlentscheidungen vor, wie eben das Referendum. Allerdings gibt es auch Gerüchte, dass die Unruhen nicht zuletzt von außen – Türkei, Iran und Bagdad – geschürt werden. Ein Profiteur ist auch die türkisch-kurdische PKK, die in den Kandil-Bergen (Provinz Erbil) ein "selbstverwaltetes Gebiet" erklärt hat. (Gudrun Harrer, 28.12.2017)