Die britischen EU-Pässe sollen nach dem Brexit wieder von den alten blauen Pässen (rechts) abgelöst werden.

Foto: AFP / UK Passport Office

Zum Jahresende ist an Warnungen vor der 2018 bevorstehenden nächsten Phase der Brexit-Verhandlungen kein Mangel. Als wolle die Premierministerin sich selbst und ihrem Team Mut machen, entzückte Theresa May die EU-Feinde mit einem Blick in die Zukunft. Von Herbst 2019 an werde Großbritannien den burgunderroten EU-Reisepass durch den "kultigen" blauen Pass ersetzen, mit dem Briten früher die Welt bereisten. Das Dokument sei, glaubt die Konservative, "Symbol unserer Unabhängigkeit, Souveränität und Zugehörigkeit zu einer stolzen, großen Nation".

May hat bisher stets betont, sie verfolge einen harten Brexit. Dazu gehört der Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion sowie das Ende der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs; außerdem will die Insel in Zukunft keine "substanziellen Zahlungen" in die Brüsseler Kasse leisten. Diese Vorgaben machen laut EU-Chefunterhändler Michel Barnier die von London gewünschte enge Anbindung an den Binnenmarkt, wie sie beispielsweise für Norwegen oder die Schweiz gelten, unmöglich. Den Briten stehe lediglich ein Freihandelsabkommen in Aussicht, wie die EU es kürzlich mit Kanada oder Japan abgeschlossen hat.

Wirtschaftliche Interessen

Wirtschaftslobbyisten und wirtschaftsnahe Konservative haben unterdessen verdeutlicht, was sie vom harten Brexit-Kurs der Regierung halten. "Wir brauchen ein Handelsabkommen und, wenn möglich, weiterhin Zugang zu Binnenmarkt und Zollunion", teilte Andrew Street mit. Der frühere Vorstandschef der Einzelhandelskette John Lewis amtiert seit Mai als Bürgermeister der Großregion Birmingham.

Das British Retail Consortium (BRC), eine Lobbyorganisation des Einzelhandels, weist eindringlich auf die Probleme hin, die durch den EU-Ausstieg ab März 2019 entstehen können. Dann endet Großbritanniens Zugang zu 73 Handelsverträgen zwischen der EU und Drittstaaten, darunter der Türkei und Südafrika. Auf türkische Textilien werde dann ein Zoll von zwölf Prozent erhoben, erläuterte BRC-Chefin Helen Dickinson der BBC. Frisches Obst aus Südafrika, bisher mit einem Prozent Zoll belegt, müsste mit 13 Prozent verzollt werden.

"Schlecht für das Land"

Der frühere Handelsminister und Vizepremier Michael Heseltine (84), eine Symbolfigur des proeuropäischen Flügels der Partei, stufte die Folgen des Brexits für Großbritannien schlimmer ein als eine Labour-Regierung unter Jeremy Corbyn. Zwar wäre Letztere "schlecht für das Land", glaubt der Konservative. "Aber Labour-Regierungen sind meist kurzlebig, ihre Wirkung lässt sich korrigieren. Der Brexit ist nicht kurzfristig und kann nicht rasch korrigiert werden."

May und ihre Minister hingegen verbreiten Optimismus: Brexit-Unterhändler David Davis zufolge strebe man ein Abkommen "Kanada plus plus plus" an. Gemeint sind damit vor allem Regelungen, die den reibungslosen Export von Waren und Dienstleistungen, nicht zuletzt im Finanzsektor, ermöglichen. Schließlich liege das Handelsbilanzdefizit bei rund 60 Milliarden Euro pro Jahr, heißt es in London.

Einheit auf dem Prüfstand

Fürs neue Jahr erwarten viele Kenner der Materie, dass die bisher demonstrierte Einheitsfront der 27 EU-Partner zu bröckeln beginnt – zu unterschiedlich seien die Interessen. Das könnten die Briten ausnutzen. Allerdings müsse May, so die Erwartung aufseiten der Europäer, bei ihrer für Jänner geplanten dritten Brexit-Grundsatzrede "Illusionen zurücknehmen" – und endlich deutlich detaillierter sagen, wie genau sich die Briten das zukünftige Verhältnis eigentlich vorstellen.

Durch die Opposition könnte die Chefin einer Minderheitsregierung 2018 stärker unter Druck geraten. Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer gibt sich in Gesprächen mit Europäern in London entschlossen, das Land in der Zollunion zu halten; so sei das mit Parteichef Corbyn abgesprochen.

Nordirland-Problem

Dies wiederum würde eines der bisher ungeklärten Probleme entschärfen: die zukünftige Grenze zwischen dem britischen Nordirland sowie der Republik im Süden. Sollten hingegen May und die Konservativen auf dem harten Brexit bestehen, werde die Einigung über Irland "ganz, ganz schwierig", glaubt ein EU-Diplomat in London: "Die Briten wollen die Quadratur des Kreises, haben aber keine Idee, wie das gehen soll." Symbolpolitik wie der blaue Reisepass reicht dazu jedenfalls nicht. (Sebastian Borger aus London, 27.12.2017)