Die Vorstellung der neuen Pirls-Studie über die Lesekompetenz der Volksschüler führte zu durchaus unterschiedlichen Schlagzeilen: "Die Zehnjährigen lesen wieder besser", schrieben die einen, "Jeder sechste Volksschüler kann kaum lesen", die anderen. Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) zeigte sich erfreut über den Aufwärtstrend und sah sich in ihrer Autonomiereform bestätigt. Diese müsse man "jetzt unbedingt wirken lassen", damit der nächste Test noch besser ausfällt.

Damit wurde gekonnt vom eigentlichen Skandal des Studienergebnisses abgelenkt: Denn die Reformen zur Verbesserung der Leseleistungen wurden bereits 2013, also vor vier Jahren, mit dem Grundsatzerlass "Leseerziehung" beschlossen. Und viele Erkenntnisse aus der aktuellen Studie zeigen die geringe Wirksamkeit der bisherigen Maßnahmen. Die Leseleistungen der Volksschüler haben sich seit 2011 zwar leicht verbessert, wodurch sie nun wieder auf dem Niveau von 2006 angekommen sind. Nach wie vor befinden sich aber 16 Prozent der Zehnjährigen auf oder unter der Kompetenzstufe 1 und können damit bestenfalls leicht auffindbare Informationen aus einem Text heraussuchen – was den erfolgreichen Besuch einer weiterführenden Schule sehr unwahrscheinlich macht. Österreich liegt damit im unteren Drittel der EU-Länder.

Bedrückend ist die zunehmende Leistungskluft zwischen Kindern von Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss und Akademikerkindern. Diese Differenz beträgt derzeit im Mittel 96 Punkte, was rund drei bis vier Lernjahren entspricht. Alarmierend ist auch die Leistungsdifferenz zwischen Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Sie beträgt im Durchschnitt 51 Punkte und entspricht damit dem Fortschritt von zwei Lernjahren. Damit scheitern die Volksschulen bei ihrer wichtigsten schulischen und demokratischen Aufgabe: dem Ausgleich unterschiedlicher Startbedingungen. Die Schule sollte jedem Kind unabhängig von seiner Herkunft dieselben Chancen auf den Erwerb von Kompetenzen zukommen lassen. Dieses elementare Prinzip von Chancengerechtigkeit wird in Österreich bereits in der Volksschule gravierend vernachlässigt.

Schon im Nationalen Bildungsbericht 2012 wurde festgehalten, dass Lesen zu den großen Schwächen in heimischen Volksschulen zählt. In Österreich besuchen 55 Prozent der Zehnjährigen eine Klasse, in der (fast) täglich laut vorgelesen wird. In Irland beträgt dieser Anteil 85 Prozent. Die Lehrer besuchten zwar Fortbildungen, aber offensichtlich ohne Erfolg.

Hier sind die pädagogischen Hochschulen und die Direktoren gefordert. Erstere sollten die Qualität ihrer Fortbildungsveranstaltungen verbessern, die Direktoren sollten gemeinsam mit den Lehrern ihrer Schule ein gezieltes Weiterbildungskonzept zur Leseförderung erarbeiten – und dieses Konzept professionell umsetzen. Denn jedes Kind hat ein gleiches Recht auf einen chancenreichen Start in unser Bildungs- und Ausbildungssystem.

Dass in einem der teuersten Bildungssysteme der Welt jeder sechste Volksschüler kaum lesen kann, ist ein Skandal, für den sich die Politik nicht auch noch auf die eigenen Schultern klopfen sollte. (Wolfgang Feller, 28.12.2017)