Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
Illustration: José Antonio Peñas / SINC

Madrid – Vor 95 Millionen Jahren neigte sich eine lange währende Zweiteilung der Welt allmählich ihrem Ende entgegen: die der Superkontinente Laurasia auf der Nordhalbkugel und Gondwana im Süden. Gondwana war zu diesem Zeitpunkt schon weitgehend zerfallen, und das später Afrika benannte Bruchstück schob sich beharrlich nach Norden vor, wo Laurasia immer noch einen lockeren Verbund bildete.

Die Halswender-Schildkröten

Mit Afrika reisten auch Tiere, die sich in der südlichen Hemisphäre entwickelt hatten, nach Norden – unter anderem eine besondere Gruppe von Schildkröten, die es heute noch gibt. Die Halswender (Pleurodira) ziehen ihren Kopf nicht senkrecht in den Panzer zurück, sondern schlagen den Hals S-förmig ein und legen den Kopf somit seitlich unter dem Panzer an.

Die Halswender hatten sich in Gondwana entwickelt und zunächst Flüsse und andere Binnengewässer besiedelt. Irgendwann müssen sie aber auch den Sprung in den Norden der Welt vollbracht haben, wie zahlreiche Fossilienfunde aus der Kreidezeit und dem anschließenden Känozoikum belegen.

Hinaus auf See

Spanische Forscher glauben nun die Pioniere ausfindig gemacht zu haben, die den Weg übers Meer schafften. In Algora in der spanischen Provinz Guadalajara wurden Fossilien einer 95 Millionen Jahre alten Schildkröte gefunden, die die Bezeichnung Algorachelus peregrinus erhielt. Der zweite Namensbestandteil bedeutet Wanderer, weil dieses Tier der "Gründergeneration" angehört haben dürfte – zumindest ist es das älteste Halswender-Fossil, das man je auf der Nordhalbkugel gefunden hat.

Die Ahnen von Algorachelus dürften an Binnengewässern gelebt haben, bis sie allmählich auch Küstenregionen besiedelten. Von diesen aus starteten einige schließlich die große Reise über den Meeresgürtel, mit dem Atlantik und Tethys die nördlichen und südlichen Landmassen der Welt voneinander trennten.

Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte, berichten die Forscher um Adán Pérez-García im "Journal of Systematic Palaeontology". Noch in der Kreidezeit breiteten sich die neuen Schildkröten über Küstenregionen und Flusssysteme des Nordens aus. Es entstanden zahlreiche neue Arten, die auch die anderen Landmassen der Nordhalbkugel eroberten und sich bis weit in die Erdneuzeit hinein dort halten konnten.

Nichts währt ewig

Nach Jahrmillionen bemessen war es zwar eine Erfolgsgeschichte – doch mittlerweile hat diese ein Postskriptum. Die natürliche Auslese hat das Rad der Zeit nämlich inzwischen zurückgedreht und die Halswender auf der Nordhalbkugel wieder aussterben lassen. Alle heute noch lebenden Arten findet man nur noch in den Resten Gondwanas, von Südamerika bis nach Australien. (jdo, 5. 1. 2018)