Mein Zwei-Stehkalender-Terminerfassungssystem: Klar, es war nicht immer alles ganz perfekt durchprogrammiert und ab und an ein bisschen fehleranfällig.

Foto: Lukas Friesenbichler

Ich dachte natürlich, es würde ewig so weitergehen. Irgendwann gegen Ende eines jeden Jahres kam der heilige Martin (ja, jedes Haus braucht so eine Perle im Facility-Management!) mit seiner Rodel vorbei, griff in eine Pappkartonschachtel und überreichte mir – ganz ungefragt – die zugegebenermaßen nicht mehr ganz taufrische Marketingidee irgendeiner österreichischen Großbank in Form eines Stehkalenders für das kommende Jahr.

Für gewöhnlich sagte ich: "Danke, Martin! Du bist ein Schatz!", und dann hielt ich meinen Kopf ein bisschen schief und sprach lächelnd weiter: "Aber bitte, bitte, ich brauche noch einen zweiten – für meinen Schreibtisch zu Hause!" Und der heilige Martin ließ sich nicht lange bitten und gab mir einen zweiten Stehkalender.

Im vergangenen Jahr schon mit dem unschönen Nachsatz: "Den braucht eh boid kana mehr!" Ich habe das natürlich überhört, denn ich wollte die Zeichen der Zeit nicht erkennen – und hielt weiter fest an meinem Zwei-Stehkalender-Terminerfassungssystem. Klar, es war nicht immer alles ganz perfekt durchprogrammiert und ab und an ein bisschen fehleranfällig. Aber mein Stehkalender-System ist mir seit Jahren – was heißt! Seit Jahrzehnten! – durch und durch vertraut.

Kein heiliger Martin

Am Ende des heurigen Jahres kam aber kein heiliger Martin bei mir vorbei. "Martin", fragte ich vergangene Woche unten beim Empfang, "wo bleiben die Stehkalender für 2018?" Und Martin (ohne Rodel) sagte vollkommen ungerührt: "Die braucht kana mehr!" – "Aber Martin. Wohin soll ich BITTE meine Termine übertragen, die sich jetzt schon für den Jänner angesammelt haben? Was verschafft mir in Zukunft den Überblick über alles, was in einer einzigen Woche zu tun ist? Und: Wie soll ich jetzt mein Zwei-Stehkalender-Terminerfassungssystem weiterführen? Martin!!! Bitte, gib mir bitte nur einen einzigen!" Martin sah sich meine Verzweiflung ruhig an, blieb aber hart: "Es gibt für uns keine Stehkalender mehr!" Und schickte mich zur Bank gegenüber.

"Alles schon weg", sagte eine sehr freundliche Mitarbeiterin des Geldinstituts, und ich sagte: "Aber das gibt es doch nicht!" Mein Blick gab ihr deutlich zu verstehen, dass ich alles durchschaut hatte: Die Banken sparen jetzt also bei den Stehkalendern. Und die nette junge Frau konnte nur entschuldigend mit ihren Schultern zucken, was so viel hieß wie: Viele produzieren wir nicht mehr. Nachsatz: "Nun ja, so gefragt sind Stehkalender heute eben nicht mehr!"

So ganz von gestern bin ich auch wieder nicht. Und ja, ich weiß, meine ganze Umgebung macht mich seit Jahren darauf aufmerksam, wie unendlich praktisch es ist, seine Termine mit dem Smartphone zu verwalten: Man hat alles automatisch dabei, stets griffbereit, wird pünktlich an anstehende Termine erinnert – und alles lässt sich mit allem synchronisieren.

Ich gebe es zu, das ist die kleine Schwachstelle am Zwei-Stehkalender-System, dass sich hier nämlich nichts von allein synchronisiert. Das bedeutet, wenn ich am frühen Morgen einen Termin habe, den ich nur in den Kalender im Büro eingetragen habe und nicht auch auf dem zu Hause, konnte es schon ein-, zweimal in meinem Leben vorkommen, dass ich so einen Termin versemmelt habe.

Die analogen Vorteile

Aber das wiederum führt mich direkt zu den Vorteilen der analogen Terminführung. Man muss also einiges noch immer im eigenen Kopf behalten, das trainiert angeblich das Gehirn ungemein. Und falls doch einmal etwas schiefgegangen ist, konnte ich in solchen Momenten überzeugend sagen: "Das tut mir leid, ich hatte mir den Dienstag-neun-Uhr-Termin leider in der falschen Kalenderwoche (KW) eingetragen."

Und denken Sie nur daran, wie viel alte Kulturtechniken in Zukunft verlorengehen. Ich bin so altmodisch, dass ich mir Dinge tatsächlich noch besser merke, wenn ich sie mit einem Stift mit der Hand geschrieben habe, eintippen ins Handy funktioniert da einfach nicht.

Dazu kommt mein fotografisches Gedächtnis, das mich nur selten im Stich lässt. Und falls doch, dann greife ich zum Telefon, rufe im Sekretariat an, und dort hebt dann meist einer von zwei weiteren äußerst freundlichen Martins ab: "Martin, kannst du kurz zu meinem Schreibtisch gehen und mir sagen, was heute auf meinem Stehkalender draufsteht?"

Als mir erst vor kurzem meine sehr geschätzte Kollegin A. – auch sie ist eine Anhängerin der Stehkalender-Fraktion – anvertraute, dass sie immer wieder einmal mit ihrer Handykamera ein Foto ihrer aktuellen Stehkalender-Seite macht, um so ihre Termine auch auf dem Smartphone zu haben, war das wie eine Erleuchtung, und ich dachte, damit seien die besten Seiten aus beiden Welten – analog und digital – kongenial und für immer vereint.

Aber: nein.

Ich bin nicht von gestern

Es schaut tatsächlich so aus, als würde ich in diesem nächsten Jahr an keinen Stehkalender mehr kommen, und selbst wenn ich sämtliche Schreibwarenhandlungen nach dem Jahreswechsel auf gut Glück nach ein paar Restposten im geschrumpften Stehkalender-Sortiment abklappern müsste, muss ich die Zeichen der Zeit wohl erkennen. Die Zukunft, befürchte ich, ist digital.

Ich schaff es nicht einmal, mein Speichervolumen in den Einstellungen zu verwalten oder meine iCloud zu installieren. Mein Smartphone, sagt mir mein Smartphone, hat seit 365 Tagen kein Back-up mehr gemacht. Ich weiß, jetzt bin ich direkt bei den guten Vorsätzen fürs neue Jahr gelandet.

Wehmütig denke ich an die noble Zurückhaltung meines Stehkalenders zurück, der mich niemals mit einem nervenden Geräusch auf irgendetwas Wichtiges aufmerksam gemacht hätte. Also, falls Sie einen Stehkalender für 2018 übrig haben – ich verspreche es, ich verwende ihn bloß noch zum Vergnügen -, Sie dürfen mir gern einen schicken. Ganz altmodisch: per Post.