Cartoon: Michael Murschetz

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker strahlt. Europa genießt die erste Erholung seit der Finanzkrise – nach einem Jahrzehnt Stagnation, in dem die US-Wirtschaft um zehn Prozent gewachsen ist. Die Arbeitslosigkeit geht zurück, aber bleibt vor allem bei der Jugend extrem hoch. Zuwächse gibt es bei hohen Einkommen. Die Emissionen steigen. Steuern sind hoch, Schulden verhindern das Gegensteuern in der nächsten Krise.

Da die EU-Kommission kurz vor dem Abtreten ist, wird es keine neue Strategie mehr geben. Die Militärausgaben steigen, und am Außenschutz wird gearbeitet. Es werden reale Zäune zwischen den Mitgliedern errichtet und geistige zwischen Optimisten und Populisten. Der letzte EU-Gipfel 2017 war eine Katastrophe.

Europa hat keine Strategie, die eine Verringerung von Ungleichheit und Emissionen mit höherer Innovation und Dynamik zu verbindet. Es hat die höchsten Zahlungen, wenn jemand seinen Job verliert und traditionelle Berufsbilder wegfallen. Es fehlen Arbeitskräfte für neue Tätigkeiten. Problemlösung an den Schulen zu lernen wäre wichtiger als unhaltbare Garantien.

Arbeit soll flexibler werden. Mehr Stunden sind zu arbeiten, wenn die Nachfrage es erfordert – aber nicht mit Burnout und ohne Gegenleistung. Die Beschäftigten müssen im Gegenzug wählen können, wann sie mehr Freizeit wollen, in welcher Lebensphase sie kürzer oder länger arbeiten. Kinderbetreuung, Fortbildung, Lebensfreude, Gesundheit würden steigen und die Belastung durch lange Tagesarbeit ausgleichen.

Ob es mehr oder weniger Europa geben soll, entzweit Länder und Bürger. Dabei erfordern manche Probleme einen Konsens über das Ziel und das eine oder andere Instrument. Aber innovative Lösungen entstehen in kleinen Gruppen und neuen Firmen. Kommission, Länder und Europäisches Parlament sollen die Ziele gemeinsam erarbeiten, aber ebenso garantieren, dass "Europa" sich nicht in Details einmischt.

Wir wissen nicht, wie viel öffentliche oder private Mobilität es in 20 Jahren geben wird, ob Autos gekauft oder gemietet werden. Aber dass niemand in der Stadt Autos mit 500 PS braucht und dass Benzin und Diesel Auslaufmodelle sind, ist im Klimavertrag von Paris festgeschrieben. Wenn Wien gerade auf Dieselbusse umsteigt, weil die neue Generation besser ist als die vorletzte, dann sollte dieser Fehler von der EU korrigiert werden. Ebenso, dass Rauchen in Lokalen ein Teil der Freiheit ist.

Europa hat eine dynamische Umgebung, im Positiven und im Negativen. Die Wirtschaft im Osten und im Süden ist seit 2000 um 50 Prozent gewachsen. Aber es gibt kein Land, in dem die Bevölkerung im Erwerbsalter ohne Migration auch nur annähernd gleich bleibt.

Migration sollte die Suche nach dem besten Einsatz der eigenen Arbeitskraft und den größten Lebenschancen sein. Tatsächlich wird sie von ökologischen und politischen Katastrophen getrieben. Wir verweigern Migration, wenn sie die Lebensumstände verbessert, gestatten sie mit Einschränkungen, wenn es die Menschenrechte erfordern und die militärische Abwehr nicht funktioniert. Wer "durchkommt", wird beim Arbeiten oder Selbstständigwerden maximal behindert.

Dynamisch sind auch die Großmachtbestrebungen von Nachbarn wie Russland und der Türkei. Sie nützen jeden Konflikt und jede ökonomische Schwäche, um frühere Macht wiederzugewinnen. Und sie unterstützen jeder Partei und Gruppe in Europa, die Arbeitsplätze verspricht, aber kein Konzept hat. In vielen Ländern suchen rechte und linke Populisten Kontakt zu Russland.

China ist der aktive Beobachter und Investor. Es predigt nicht, was andere tun sollen, sondern investiert, baut und sichert sich Rohstoffe und Absatz. Alles, was in Chinas Interesse liegt, oft unökologisch und ohne Gewerkschaften. Für Europa wäre es nicht schwierig, positiv aufzufallen, partnerschaftlich zu investieren, mit sozialer und ökologischer Komponente.

Die Flüchtlingspolitik taumelt zwischen ungleicher Verteilung und Ablehnung von Quoten. Es gibt aber Gemeinden und Städte, deren Bevölkerung stark zurückgeht, wo Schulen und Geschäfte geschlossen werden, die Jugend absiedelt. Warum fragt man sie nicht, ob sie eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen aufnehmen wollen gegen einen Investitionszuschuss aus Europa? Dann würden nicht alle Flüchtlinge versuchen, aus Krisengebieten und Lagern nach Deutschland und Österreich zu kommen. Sie kämen in Gemeinden, die sie und Investitionen am meisten benötigen. Es würde mehr Umverteilung geben als bei den heute abgelehnten Quoten.

Mit Reformen beginnen

Europawahlen gibt es 2019. Bis die neue Kommission zu arbeiten beginnt, sind die Weichen für das Jahr 2020 gestellt. Ungelöste Probleme verringern die Zustimmung zur EU. Die Konjunktursonne wiegt Europa in falscher Sicherheit. Jedes Land, das die EU-Präsidentschaft davor übernimmt, sollte klar kommunizieren, dass Europa ein gutes Modell ist, aber jetzt mit Reformen begonnen werden muss. Das Jahr 2018 entscheidet, ob Europa von den Problemen der Nachbarn überschwemmt wird oder mit ihnen gemeinsam Globalisierung und Lebensqualität gestaltet. (Karl Aiginger, 29.12.2017)