Die aktuellen Proteste im Iran werden zu bedeutenden Teilen über Telegram organisiert – was die App natürlich zu einem Angriffspunkt macht.

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Während Telegram in Europa nur einer unter vielen Messengern ist, sieht die Situation im Iran vollständig anders aus: Hier entfaltet die App eine beeindruckende Dominanz: Mehr als 40 Millionen monatlich aktive Nutzer hat Telegram in dem 80 Millionen Einwohner starken Land. Gerade die zahlreichen öffentlich zugänglichen Informationskanäle, die von unterschiedlichster Seite dafür angeboten werden, erfreuen sich reger Beliebtheit. Eine Dominanz, die sich nicht zuletzt auch daraus ergibt, dass zahlreiche andere Messenger im Iran schlicht verboten sind, während Telegram versucht den engen Pfad zwischen einem legalen Betrieb und staatlicher Zensur zu beschreiten. Ein aktueller Vorfall liefert nun Kritikern dieser Herangehensweise neue Nahrung.

Protest

Telegram hat einen der im Rahmen der aktuellen Antiregierungsproteste genutzten Kanäle auf seinem Service gesperrt. Der Vorwurf lautet, dass über Amadnews zur Nutzung von Molotow-Cocktails für Angriffe gegen die Polizei aufgerufen worden sein soll. Telegram-Chef Pavel Durov betonte via Twitter, dass man in dieser Hinsicht eine klare Linie verfolge, Kanäle, die zu Gewalt aufrufen würden blockiert – egal welche politische Ausrichtung sie verfolgen. Diese Position habe man auch schon vor einigen Monaten im Rahmen eines Blogpostings klargemacht.

Die Diskussion zwischen dem iranischen Telekommunikationsminister und Telegram-Boss Durov.

Und doch sieht sich das Unternehmen nun erneuter Kritik ausgesetzt: Erfolgte die Verbannung doch auf direkten Zuruf des iranischen Telekommunikationsministers, Mohammad-Javad Azari Jahrom, der Telegram via Twitter in aller Öffentlichkeit zu diesem Schritt aufforderte.

Zweifel an Telegram

Die aktuellen Proteste dürften laut Berichten aus dem Iran zu einem bedeutenden Teil über Telegram organisiert werden, dies obwohl Experten in der Vergangenheit durchaus auch immer wieder Zweifel an der Sicherheit des Services geäußert haben. So nimmt nun NSA-Whistleblower Edward Snowden den aktuellen Vorfall zum Anlass, um seine Bedenken gegenüber Telegram näher auszuführen. Das Sicherheitsversprechen von Telegram sei kurz als "Vertrau uns" zu umreißen. "Vertraue uns, dass wir keine Daten weitergeben, dass wir deine Nachrichten nicht lesen und deinen Kanal nicht schließen". Das sei aber eine denkbar schlechte Sicherheitsstrategie für die User. Zudem sei es keine gute Idee öffentliche Kanäle mit einem verschlüsselten Messenger zu kombinieren, weil bei den Usern daraus eine falsche Erwartungshaltung entstünde.

Dazu kommt, dass die Frage, warum Telegram bisher im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten nicht gesperrt wurde, natürlich Fragen aufwirft. Und einige Berichte der letzten Monate sind nicht geeignet, diese verstummen zu lassen: So hat Telegram erst im Juli angekündigt, dass künftig lokale Server genutzt werden sollen, um die Daten zu cachen und so die Servicequalität zu verbessern. Dies wurde mit der Versicherung, dass staatliche Stellen hier keinen Zugriff haben sollen, kommuniziert. Zudem sind große Telegram-Kanäle im Iran mittlerweile dazu verpflichtet, dass sich die Betreiber bei einer staatlichen Stelle registrieren lassen.

Keine einfachen Lösungen

Gleichzeitig verweist die Menschenrechtsaktivistin Mahsa Alimardani vor allzu einfachen Empfehlungen. Der Ratschlag auf den Open-Source-Messenger Signal zu wechseln, wie er gerne aus der netzpolitischen Ecke komme, sei hier schlicht nicht umsetzbar. Dies nicht nur, weil Telegram mit seinen öffentlichen Kanälen zum Teil eine ganz andere Aufgabe übernehme, sondern auch weil die gewohnte Variante von Signal im Iran gar nicht funktioniert. Grund dafür ist, dass der Messenger von Haus aus die Google App Engine einsetzt – diese aber im Iran wegen den aufrechten Sanktionen gegen das Land nicht verfügbar ist.

Gleichzeitig zeige die Sperre von Amadnews natürlich auch, warum den staatlichen Zensoren Telegram wesentlich lieber ist als klassische soziale Netzwerke: Die Kanäle ließen sich wesentlich einfacher überwachen und bei Bedarf blockieren. (apo, 31.12.2017)