Es handelt sich um die größten Proteste seit der unterdrückten Bewegung gegen die Wiederwahl des damaligen Hardliner-Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad im Jahr 2009.

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Teheran – Bei den seit Donnerstag andauernden regimekritischen Protesten im Iran sind nach Angaben des Staatsfernsehens bisher zwölf Demonstranten ums Leben gekommen. In der westiranischen Stadt Tuyserkan starben sechs Menschen durch Schüsse, wie das Staatsfernsehen berichtete. Menschen "mit Masken haben an den Unruhen teilgenommen und öffentliche Gebäude angegriffen und in Brand gesetzt", hieß es. Weitere Tote gab es in Dorud (vier) und Iseh (zwei).

Bei Protesten gegen wirtschaftliche Probleme in der kleinen Stadt Iseh seien zwei Menschen erschossen und mehrere weitere verletzt worden, sagte ein Lokalpolitiker am Montag, die den reformorientierten Kräften nahe steht. Der Abgeordnete Hedayatollah Khademi fügte hinzu, er wisse nicht, ob Polizisten oder Demonstranten die Schüsse abfeuerten.

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Rohani will beschwichtigen

Am Neujahrstag war ein Krisentreffen im Parlament geplant, an dem Medienangaben zufolge auch Präsident Hassan Rohani teilnehmen soll. Am Sonntagabend war Rohani in seiner ersten Reaktion auf die Proteste auf die Kritiker und Demonstranten zugegangen. Er bezeichnete in einer Rede Proteste als ihr legitimes Recht, präsentierte aber keine konkreten Lösungsvorschläge.

Wie zuvor sein Innenminister, rief auch Rohani die Regimekritiker dazu auf, ihre Proteste über legale Kanäle zu beantragen. Dann würde es nach seinen Worten auch nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen und Polizeieinsätzen kommen. Dieser Vorschlag wurde allerdings in den Sozialen Netzwerken als Rhetorik zurückgewiesen.

Das Innenministerium würde nach Meinung vieler Iraner niemals Anträge auf Protestversammlungen genehmigen, die nur ansatzweise Kritik am islamischen Establishment üben würden. In der Tat erlaubt das Innenministerium nur vom System genehmigte Proteste, die sich dann meistens gegen die politischen Erzfeinde USA oder Israel richten.

Trump kritisiert Iran

US-Präsident Donald Trump hat am Neujahrstag seine Kritik an der Führung Iran fortgesetzt. Auf Twitter schrieb Trump, das "große iranische Volk" sei über Jahre unterdrückt worden. Es hungere nach Essen und Freiheit. Menschenrechte und Wohlstand des Landes seien geplündert worden.

Der Iran scheitere auf allen Ebenen mit Ausnahme des "schrecklichen" Atom-Deals, den die Regierung Barack Obamas vereinbart habe, schrieb Trump. Seinen Tweet beendete er mit Großbuchstaben: "ZEIT FÜR EINEN WECHSEL!"

Rohani äußerte sich in seiner Rede am Sonntagabend auch kritisch zu den Tweets von US-Präsident Donald Trump über die Demonstrationen. Jemand, "der von Kopf bis Fuß" gegen den Iran sei, sollte nun nicht den Besorgten vorheucheln, sagte Rohani.

Größter Protest seit 2009

Es sind die größten Proteste seit der gewaltsam unterdrückten Bewegung gegen die Wiederwahl des damaligen Hardliner-Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad im Jahr 2009. Eine breit angelegte Protestwelle ohne Anführer könnte die Situation für die Regierung schwieriger machen. Ihre Strategie 2009 bestand unter anderem darin, die Spitzen der Opposition unter Hausarrest zu stellen. Die Kritik an der Versorgungslage birgt im Iran zudem eine besondere Sprengkraft, weil die Revolution von 1979 als Aufstand der Armen gegen Ausbeutung und Unterdrückung dargestellt wird.

Warum demonstriert wird

Ursprünglich standen wirtschaftliche Themen im Fokus. Der Unmut richtete sich etwa gegen die vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit, deutliche Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln wie Eiern und einen Vorschlag der Regierung, im kommenden Jahr die Treibstoffpreise zu erhöhen.

Allerdings kamen politische Themen hinzu, wie Kritik an dem seit 1979 herrschenden Klerus. Einige Demonstranten zeigten sich wütend über die finanziellen Hilfen für die Palästinenser und die Hisbollah-Miliz im Libanon. Sie fordern von der Regierung, sich stattdessen auf innenpolitische Probleme zu konzentrieren. Auch Rücktrittsforderungen an den religiösen und politischen Führer Ayatollah Ali Khamenei wurden laut.

Die wirtschafliche Lage

Das Ende der Sanktionen nach dem Atomabkommen 2015 hat der Bevölkerung bisher keine Vorteile gebracht. In diesem Fiskaljahr lag die Arbeitslosigkeit nach offiziellen Angaben bei 12,4 Prozent, ein Anstieg von 1,4 Punkten zum Vorjahreszeitraum. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 28,8 Prozent.

Einige Konjunkturdaten haben sich verbessert. Die Inflation fiel im Juni 2016 erstmals seit gut einem Vierteljahrhundert auf einen einstelligen Wert. Derzeit liegt die Teuerung bei etwa acht Prozent. Im Jahreszeitraum bis zum 20. März stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 12,5 Prozent, allerdings fast ausschließlich aufgrund des Anstiegs der Öl-Exporte. (red, APA, 1.1.2018)