Wien – "Jetzt will der Mistbub, der Johann, auch Walzer schreiben, wo er doch keinen Dunst davon hat und es mir schon Mühe macht, in zwölf oder acht Takten was Neues zu bringen!" In seinem zornigen Neid hätte sich Vater Johann Strauß argumentativ mit keinem Walzer retten können. Der Festmarsch (op. 452) seines Sprösslings, der im Goldenen Saal des Musikvereins einen Augenblick gepflegter Langeweile markierte, hätte Vater Strauß vielleicht aber kurze Augenblicke tröstlicher Bestätigung beschert.

Nicht wegen der dirigentischen Umsetzung: Auch Riccardo Muti, nun zum fünften und möglicherweise letzten Mal ein Neujahrskonzert leitend, vermag ja ein sympathisches Stück tönender Schlichtheit nicht in einen großen Wurf zu verwandeln. Den Vater/Sohn-Konflikt der Familie Strauß vermochte er jedoch an diesem ersten Vormittag des neuen Jahres zu schlichten.

Vater Strauß’ glanzvoller Wilhelm Tell-Galopp (Polka schnell, op. 29b) raste mit festlicher Dringlichkeit dahin und zeigte die Stärken von Komponist und Dirigent. Muti mag es akzentuiert bis forsch. Ohne in derbe Korkenknallereffekte zu verfallen, lädt er die Musik energetisch auf, wobei es zunächst ein wenig bläserlastig klang: Strauß’ Einzugsmarsch aus dem Zigeunerbaron hatte etwas grell Donnerndes.

Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker in guter Form: Ihr Angebot aus rasenden Polkas sorgte für Standing Ovations
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Wie Muti Strauß’ Polka Leichtes Blut (op. 319) als rasende Demonstration philharmonischer Virtuosität und Vitalität inszenierte, hatte dann jenen "Wums", bei dem klanglich alles ins Lot kam. Und: Auch bei Freikugeln (op. 326) glänzte der Charakter dieser Polka robust-effektvoll.

Die Zwischentöne

Es wirkte somit irgendwie nur konsequent, das offizielle Programm schließlich mit einem so resoluten wie eleganten Fußtritt für die schlechte Laune beendet zu haben. Durch und durch prachtvoll ging es mit der Polka Eingesendet op. 240 zu Ende.

Wer delikate Zwischentöne, doppelbödiges Gestalten und jene introvertierte Seite dieser Musik suchte, wurde zuvor da und dort fündig. In Strauß’ Myrthenblüten-Walzer (op. 395) zelebrierte Muti, der mit den Wienern seit 48 Jahren kontinuierlich musiziert, jene Pointen des quasi stillen poetischen Übergangs. Die schöne Illusion einer fast bis zum Stillstand verlangsamten Zeit bliebt noch dem Donauwalzer vorbehalten. Und besondere Intimität verbreiteten die Geschichten aus dem Wienerwald (Walzer, op. 325). In pittoresken Momenten des Zithersolos von Barbara Laister-Ebner erstrahlte sanft jene friedvolle Wehmut, die auch bei Josef Strauß’ Walzer Wiener Fresken (op. 249) durchschimmerte.

Klare Akzente

Letztlich waren dies punktuelle Ereignisse. Tendenziell dominierte das berückende Abfeuern von Effekten gegenüber dem Ausloten von Affekten, es regierte das differenzierte Ausformen von instrumentalen Einzelgesten. Der entschleunigende Gestus dieser Stilistik gerät dann ein bisschen neutral – wie etwa bei Vater Strauß Marienwalzer (op. 212), den Muti schon 2007 beim Neujahrstreffen mit den Wienern dirigiert hat.

Keine Scherze im Musikverein, dafür klare Akzente
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Im Zweifelsfall ist Muti beim klaren Akzent und weniger bei der schwebenden Nostalgie anzutreffen: Er sucht eher die Ausgewogenheit in der Schönheit und weniger ihre Abgründe und ihre Ambivalenz. Geschmackssache. Jedenfalls wird auch Alphons Czibulkas Stephanie-Gavotte (op. 312) von Muti zierlich und eindrücklich traurig als tolles kleines Stück präsentiert, und dies ohne sentimentalen Zugang. Es wurde ein sehr respektables Neujahrskonzert – wie angekündigt – ohne Scherze. Auch auf eine Ansprache verzichtete Muti (er hielt früher schon Plädoyers für die Kunst), beließ es beim Dirigieren des kollektiven Orchestergrußes, der in 95 Länder übertragen wurde und dem der neue Kanzler Sebastian Kurz im Parkett beiwohnte.

Etwas Freizeit-Service: Wer den ersten Tag 2018 träumend verbracht hat, kann am 6. Jänner (ab 10.00, ORF 2) nachhören, was er versäumt hat (auch auf 3sat am 6. Jänner ab 20.15). Sammler merken sich den 5. Jänner vor: Ab da gibt es die CD zu erwerben (Vinyl folgt am 16. Februar).

Die nächste Gelegenheit live dabei zu sein, bietet sich dann traditionellerweise erst wieder 2019. Es leitet das Walzertreffen der spannende Dirigent Christian Thielemann – zum ersten Mal. (Ljubiša Tošic, 1. 1. 2018)