Wien – Der Schlüssel zum Wiedererkennen liegt nicht selten in der Wiederholung, im Ritual: Als sich John (Donald Sutherland) vor dem Badezimmerspiegel die Krawatte bindet, rezitiert er auswendig Zeilen seines Lieblingsschriftstellers Ernest Hemingway. Erst als er im Sakko auf den Gang tritt, offenbar um zur Arbeit zu gehen, verliert er die Orientierung und fragt nach dem Ort. John, an Alzheimer erkrankt, befindet sich nicht zu Hause, sondern in einem Hotel, an einer Station der Reise mit seiner ebenfalls schwer erkrankten Ehefrau Ella (Helen Mirren). Wie sie ihn wortlos und doch vielsagend bei der Morgentoilette beobachtet, gehört zu den stärkeren Momenten von Paolo Virzìs Roadmovie Das Leuchten der Erinnerung.

Reißen in einem Leisure Seeker getauften Oldtimerwohnmobil von zu Hause aus: Donald Sutherland und Helen Mirren. Die beiden Starschauspieler sind in der Verfilmung von Michael Zadoorians Bestseller erstmals seit 26 Jahren wieder Seite an Seite zu sehen.

Die Szene, in der die erstmals seit 26 Jahren wieder in einem Film vereinigten Hauptdarsteller ihr volles darstellerisches Potenzial entfalten, kündet davon, dass es in Roadmovies neben Aufbruch, Flucht und Neuorientierung immer auch um Selbstvergewisserung geht. Umso mehr, als man es bei den beiden Ausreißern nicht mit jugendlichen Delinquenten, sondern mit einem Ehepaar in seinem letzten Lebensabschnitt zu tun hat.

Im von Ella Leisure Seeker getauften Oldtimerwohnmobil, auf das sich der Originaltitel von Film und Romanvorlage bezieht, brechen die beiden Hauptfiguren von Boston nach Key West in Florida auf. Dort befindet sich nämlich jenes frühere Wohnhaus von Hemingway, das der ehemalige Englischlehrer John immer schon sehen wollte, aber noch nie gesehen hat. Kein zufälliges Ziel, aber auch kein zwingendes, geht es doch vor allem um die Begegnungen, Annäherungen und Irritationen, die eine Reise mit sich bringt.

Bestseller in Italien

In Italien entpuppte sich Michael Zadoorians 2009 erschienene Romanvorlage als Bestseller. Mit Roadmovie-Erfahrung wartet jener italienische Regisseur auf, der The Leisure Seeker nun verfilmt hat. In seinem Film Die Überglücklichen / La pazza gioia warf Virzì mit einem aus der Psychiatrie geflüchteten Frauenpaar einen Blick auf die gesellschaftliche Realität seines Landes.

Dass der Blick des Regisseurs in seinem ersten englischsprachigen Film in allzu vielen Klischees steckenbleibt, erweist sich als die größte Hürde von Das Leuchten der Erinnerung. Zwar setzt Virzì auch hier zur Einbettung in einen größeren Rahmen an. Aber zu mehr als dem Demokraten, der aufgrund seiner Erkrankung auf seine politische Vergangenheit vergisst und bei einer Trump-Wahlveranstaltung mitgrölt, reicht es nicht.

Recht schematisch sind zudem Nebenfiguren wie die Kinder des ausgebüchsten Ehepaares ausgefallen, mit einem vom Alltag überlasteten Sohn am Rande der Hysterie auf der einen und der verständnisvollen Lieblingstochter auf der anderen Seite. Fatalerweise bleiben auch die Hauptfiguren nicht von Stereotypen verschont, die sich in Alzheimer-Klischees ebenso äußern wie in einem zuweilen hölzernen Spiel von Mirren und Sutherland in jenen Szenen, in denen sie auf schrullige Alte reduziert werden.

Filmladen Filmverleih

Wie treffend sich alte Menschen in einem Roadmovie in Szene setzen lassen, hat Alexander Payne in seinem unsentimentalen und dennoch berührenden Film Nebraska bewiesen. Ansätze dazu gibt es auch in Das Leuchten der Erinnerung, vor allem in den stilleren Momenten. Wenn sich das alte Ehepaar etwa sein früheres Leben beim Diaschauen auf dem Campingplatz in Erinnerung ruft und damit unerwartete Zuschauer anzieht. Oder wenn Ella ohne ihre einer Chemotherapie geschuldete Perücke zu sehen ist. Und natürlich in der Hotelszene, in der John in seinen einstigen Alltag zurückfindet.

Als würde das nicht genügen, setzt Regisseur Virzì dann allerdings immer noch mehr drauf, wird überdeutlich und lässt den alten Englischlehrer beim Hotelfrühstück über Der alte Mann und das Meer dozieren, wenn eigentlich schon alles gesagt ist. Nirgendwo ist das Ausreizen von Affekten ärgerlicher als in tatsächlich berührenden Szenen, in denen im Soundtrack Janis Joplins Version von Me and Bobby McGhee selbst dort noch andrücken muss, wo sich die Tränendrüsen längst geöffnet haben. Ein Roadmovie mit forciertem Feelgoodfaktor lässt dann ein letztes Mal sein Potenzial auf der Strecke. (Karl Gedlicka, 3.1.2018)