Das große und weitverzweigte Geweih ist ein Merkmal von Rothirschen. Da es eine beliebte Jagdtrophäe ist, werden die männlichen Tiere besonders gerne abgeschossen. Um eine nachhaltige Reduktion zu erreichen, sollten aber vorwiegend Weibchen geschossen werden.
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Wien – In den vergangenen Jahrzehnten sind die Bestände von Rothirschen in Österreich stetig gestiegen – jedenfalls legen das die Zahlen über die Abschüsse nahe: Allein in der Jagdsaison 2016/17 wurden mehr als 53.000 Stück erlegt. Zum Vergleich: 1970 wurden nur rund 32.000 und 1990 circa 42.000 Abschüsse gezählt.

Zwar sind unter natürlichen Bedingungen klarerweise alle Spezies wertvolle Mitglieder eines Ökosystems. Die Zunahme an Rothirschen, die sich aus den zunehmenden Abschussraten ergibt, ist allerdings insofern ein Problem, als das Wild vor allem im Spätwinter gerne Knospen, Zweige und Rinden der Bäume frisst und damit das Nachwachsen junger Bäume behindern kann. Gleichzeitig steigt auch die Gefahr von Wildunfällen.

Gegenteiliger Effekt

Da es keine großen Beutegreifer mehr in unseren Breiten gibt, die das Wild im Zaum halten könnten, sehen sich die Jäger vor der Aufgabe, die Rothirschpopulation zu regulieren, sprich ausreichend Tiere abzuschießen. Die Freizeitjagd zielt dabei allerdings bevorzugt auf das geweihtragende Geschlecht und erreicht damit möglicherweise das Gegenteil des gewünschten Ergebnisses: Sebastian Vetter und Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien gingen kürzlich im Auftrag des Niederösterreichischen Landesjagdverbandes dem Zusammenhang zwischen Bestandsdichte und Geschlechterverteilung beim Rotwild nach und stießen dabei auf einen interessanten Zusammenhang.

Die beiden Wildbiologen analysierten alle zwischen 2004 und 2015 in Niederösterreich getöteten Hirsche und fanden dabei heraus: Je mehr Hirsche auf einer bestimmten Fläche erlegt worden waren – je höher also die Populationsdichte -, desto geringer war der Anteil an männlichen Hirschkälbern am Gesamtnachwuchs. Je mehr weibliche Tiere aber, desto höher das Populationswachstum. Männliche Rothirsche weisen zudem eine höhere Sterblichkeit auf als weibliche – ein Phänomen, das auch bei anderen Huftieren zu beobachten ist, bei denen die Männchen deutlich größer als ihre Partnerinnen sind. Vor allem in schlechten Zeiten, wenn Nahrung knapp ist, können diese Unterschiede massive Folgen haben: Als der extreme Winter 1963/64 auf der zu Alaska gehörenden Insel St. Matthew fast alle 6000 dort lebenden Rentiere dahinraffte, war unter den 42 Überlebenden nur ein einziges Männchen.

Da Rothirsche während der Brunftzeit einen Harem verteidigen beziehungsweise mit anderen Männchen darum kämpfen müssen, hängt der Reproduktionserfolg von Söhnen wesentlich davon ab, wie groß und stark sie sind. Da männliche Kälber mehr Nahrung als weibliche brauchen, ist ihre Aufzucht für die Mütter mit mehr Aufwand verbunden – den sich nicht alle leisten können. Speziell wenn die Mütter nicht in bestem Zustand sind, kann sich die Aufzucht von Söhnen rächen: So kalben rangniedrige Hirschkühe, die einen Sohn aufgezogen haben, im Folgejahr deutlich später als der Durchschnitt oder haben gar keinen Nachwuchs.

Für ranghohe Weibchen, die gewöhnlich ältere Tiere in besserer Verfassung sind, spielt das Geschlecht der Kinder hingegen keine Rolle für ihren weiteren Fortpflanzungserfolg. Und tatsächlich gebären ranghöhere, ältere Hirschkühe mehr männliche Kälber als ihre rangniedrigen, jüngeren Artgenossinnen. Diesen Zusammenhang konnten Vetter und Arnold auch für Niederösterreich bestätigen: Je mehr ältere Tiere eine Population aufwies, desto höher war auch der Anteil der männlichen Hirschkälber.

Geweih und Hodengröße

Dass auch die Väter Einfluss auf das Geschlecht ihrer Kinder haben, weiß man aus einer spanischen Studie: Rothirschweibchen, die alle gesund und wohlgenährt waren, wurden künstlich mit dem Sperma wildlebender Hirsche besamt. Dabei stellte sich heraus, dass es zwischen den Männchen große Unterschiede sowohl in der Fruchtbarkeit als auch im Anteil an gezeugten Söhnen gibt. Und es zeigte sich ein recht simpler Zusammenhang: Je größer die Hoden der Hirsche, desto mehr Spermazellen erzeugten sie, desto fruchtbarer waren sie allgemein und desto häufiger zeugten sie Söhne.

Evolutiv gesehen ergibt das Sinn: Väter, die zahlreiche Spermazellen produzieren und diese Eigenschaft an ihre Söhne vererben, erhöhen damit ihre Chancen auf viele Nachkommen. Väter mit weniger Spermazellen fahren besser mit Töchtern, da sie an diese ihre geringe Zeugungsfähigkeit nicht weitergeben. Die Fähigkeit eines Hirsches, männliche Nachkommen zu zeugen, lässt sich sogar von außen leicht sehen: Wenig fruchtbare Exemplare haben auch ein kleineres Geweih als vergleichbare männliche Artgenossen. Wie diese Zusammenhänge physiologisch erklärbar sind, weiß man noch nicht.

Gezielter Abschuss

Bei dem Vergleich der Verhältnisse zwischen 2004 und 2015 kamen Vetter und Arnold in Niederösterreich zu ähnlichen Schlüssen: "Je höher der Anteil an männlichen Hirschen, die älter als zehn Jahre sind, in einem Bestand, desto höher ist der Anteil der männlichen Hirschkälber", sagt Vetter. Der derzeit geringe Anteil von männlichem Nachwuchs in vielen Gebieten Niederösterreichs führt zu einem erhöhten Anteil an Weibchen und damit genau zum Gegenteil des gewünschten Ziels, die Bestände zu reduzieren. Mit steigender Populationsdichte werden immer noch mehr Weibchen geboren. Das ist nicht nur für den Wald schlecht, sondern auch für die Trophäenjagd: Hohe Wildbestände wirken sich nämlich negativ auf Wachstum und Geweihgröße der zur Welt kommenden Männchen aus.

"Da die Bestandsdichte den größten Effekt auf den Anteil an männlichen Hirschkälbern in der Population hatte, kann eine nachhaltige Reduktion des Bestandes nur über den gezielten Abschuss der Hirschkühe erreicht werden", sagt Vetter, "gleichzeitig muss man auf das Überleben von Hirschen mit zehn Jahren und mehr achten, da diese mehr Söhne zeugen, und auf die fünf- bis neunjährigen Hirsche, damit diese das Alter erreichen, ab dem sie einen positiven Einfluss auf das Geschlechterverhältnis nehmen." (Susanne Strnadl, 6.1.2018)