Wien – Was bringt eine Mutter dazu, Ihren Sohn anzuzeigen und vor Gericht gegen ihn auszusagen? Im Fall von Sonja P. ist die Antwort einfach: Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit angesichts der Drogensucht ihres 29-jährigen Kindes. Christian R. sitzt unter anderem vor Richter Philipp Schnabel, da er die 50 Jahre alte Frau am 1. November mit der Drohung, sie "abzustechen", zum Verlassen seines Zimmers bringen wollte.

Es ist eine trostlose Geschichte, mit der der Richter sich beschäftigen muss. R. konsumiert illegale Drogen, seit er 15 ist, hat fünf Vorstrafen, zwei kleine Kinder, ist arbeits- und oft obdachlos. Ab vergangenem September ließ ihn seine Mutter wieder im begehbaren Schrank ihrer Wohnung in Wien-Margareten wohnen, harmonisch war das Zusammenleben nicht.

Mittagessen der Patchworkfamilie

Am Tattag aßen Angeklagter, seine neue Freundin, Mutter, deren Lebensgefährte und deren Exmann zu Mittag. R. und seine Partnerin zogen sich danach in das Kabinett zurück. Der Angeklagte spricht nur vage davon, dass es einen Streit gab; die Frau selbst, ebenfalls drogenkrank und obdachlos, ist nicht auffindbar.

Schnabel verliest daher ihre Aussage, die sie bei der Polizei gemacht hat. Demnach hatte das Paar Geschlechtsverkehr; als R. zum Orgasmus kam, entkam ihm der Name seiner Exfreundin, der Mutter der Kinder. Die neue Freundin war darüber aufgebracht, gab R. eine Ohrfeige, er schmiss einen Kasten um. Das veranlasste seine Mutter, nach dem Rechten zu sehen.

Der Angeklagte gibt zu, einen Kochtopf in der Hand gehabt und gedroht zu haben, diesen auf seine Mutter zu werfen, falls sie das Zimmer nicht verlasse. Von "abstechen" will er nichts gesagt haben – gibt aber zu, dass er sich nicht mehr genau erinnern könne, da er im Drogenrausch gewesen sei. Wie auch die Wochen davor, daher kann er nicht bestätigen, auch den Partner seiner Mutter immer wieder bedroht zu haben. Seine Mutter und die anderen Zeugen bestätigen die Anklagevorwürfe aber.

Mutter hofft auf Therapie

Sonja P. beteuert, tatsächlich Angst gehabt zu haben, daher habe sie auch die Polizei gerufen und später ein Betretungsverbot erwirkt. "Er war so unter Drogen damals, dass ich mir nicht sicher war, wie er das meint", sagt sie. Und: "Ich weiß, dass ich die Aussage verweigern könnte. Aber ich will auch, dass er endlich eine Therapie bekommt." Verteidigerin Christine Wolf und Richter Schnabel müssen ihr mitteilen, dass das in diesem Verfahren nicht möglich sei.

Die nicht rechtskräftigen sechs Monate Haft plus den Widerruf einer offenen Vorstrafe von drei Monaten akzeptiert der Angeklagte widerspruchslos. Während der Justizwachebeamte von Richter Schnabel die Papiere ausfüllen lässt, tritt die Mutter neben die Anklagebank und fragt, wann sie ihren Sohn wieder besuchen dürfe – als Zeugin war ihr das nämlich verboten.

"Ich habe ihm zu Weihnachten geschrieben, aber er hat nicht geantwortet", verrät sie noch. "Ich hatte keine Briefmarken!", verteidigt sich der Angeklagte. "Ich schicke Dir jeden Monat 120 Euro!", entgegnet seine Mutter, ehe sie in Tränen ausbricht. "Sie möchte ihm ein Bussi geben, darf sie?", fragt die Verteidigerin den Richter, der zustimmt. Der Sohn und die schluchzende Mutter umarmen sich innig, der Sohn flüstert etwas von "Scheißdrogen". Als er zurück in die Zelle gebracht wird, fragt ihn seine Mutter noch, ob sie ihm Fotos seiner Kinder schicken soll. "Ja", lautet die knappe Antwort. (Michael Möseneder, 8.1.2018)