Dieses Propagandafoto des albanischen kommunistischen Regimes zeigt, dass sogar Kinder angehalten wurden, Leute, die aus der Republik fliehen wollten, zu vernadern und den Sicherheitskräften zu melden.

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Der 76-jährige Mark Alija hat zehn Jahre als politisch Verfolgter im Lager verbracht.

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Wer sich Richtung Zaun bewegte, wurde erschossen. Die Häftlinge wurden bestraft, indem sie im Regen stehen mussten oder ihre Verwandten nicht mehr sehen durften. Mark Alija hat zehn Jahre seines Lebens in einem Arbeitslager in Albanien verbracht, als das Land von der brutalen stalinistischen Hoxha-Diktatur regiert wurde. In keinem anderen Land in Europa waren die Menschen unfreier, nirgends wurde mehr gefoltert und weggesperrt. Je schlimmer die Zustände wurden, "desto mehr hofften wir, dass die zivilisierte Welt uns helfen würde", beschreibt Alija den damaligen Gemütszustand der Inhaftierten. "Wir dachten, dass Europa nur deshalb nicht hilft, weil es keine Vorstellung davon hatte, was uns passierte."

Doch die Paranoia des Diktators Enver Hoxha machte Albanien zu einem Ort des Denkverbots und zu einem unentrinnbaren Platz für jene, die vor dem Hunger und der Angst fliehen wollten. Der heute 76-jährige Alisa hat ein durchfurchtes Gesicht, das viele Erfahrungen erahnen lässt. 1958, als er 17 Jahre alt war, wollte er mit drei Freunden, die ebenfalls in dem Ort Rubik in Nordalbanien lebten, ins Ausland gehen. "Diese Absicht war der Anfang vom Ende meines Verbrechens", erzählt er heute mit einem ironischen Lächeln. Er wurde angeklagt, nachdem sein Ausreisewunsch von einem Spitzel dem albanischen Geheimdienst, den Sigurimi, verraten wurde. Der Vorwurf lautete "Mitgliedschaft in einer Organisation zum Sturz des Regimes" und "Propaganda". Solche Delikte wurden mitunter vom Regime erfunden, um das Strafausmaß zu vergrößern.

Von Militärgericht verurteilt

Alija wurde drei Monate in Tirana verhört und von einem Militärgericht verurteilt. Damals ar es üblich, dass die "Ergebnisse" der Ermittler von den Richtern übernommen wurden. Auch das gesamte Hab und Gut, die Haushaltsgeräte, das Haus, der Garten und die Tiere seiner Familie wurden beschlagnahmt, die Familie selbst musste in einen Stall ziehen. Deren Mitglieder wurden geächtet und als "Feinde des Volkes" betrachtet. Obwohl Alija erst 17 Jahre alt war, wurde kein Jugendstrafrecht angewandt, aber ein Gesetz, dass das "Betreten der Grenze ohne Pass" unter Strafe stellte – obwohl Alija überhaupt nie an der Grenze gewesen war.

"In keinem anderen kommunistischen Land Europas konnten Menschen auf so 'einfache' Art Opfer von politischen Verfolgungen werden und beispielsweise lediglich auf dem Wege eines Verwaltungsaktes jahrzehntelang inhaftiert werden", erklärt der Leiter der deutschen CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Tirana, Walter Glos, der sich für die Aufarbeitung der Verbrechen des kommunistischen Regimes einsetzt. Insgesamt seien 60.000 Familien in Arbeitslager gesteckt worden. "Zum Zeitpunkt des endgültigen Zusammenbruchs des kommunistischen Regimes war mehr als ein Drittel aller albanischen Familien von politischen Verfolgungen betroffen", sagt Glos.

Wassersuppe zum Frühstück

Für lange Zeit hatte Albanien überhaupt eine der höchsten Zahlen an inhaftierten politischen Gefangenen in Europa. Die Diktatur hatte ein Spitzelnetz mit 10.000 Sigurimi aufgebaut. Der Zugang zu den Unterlagen der Sigurimi wurde im Mai 2015 vom albanischen Parlament beschlossen worden. Seit Dezember 2016 hat die zuständige Behörde die Arbeit aufgenommen. Aber erst im März 2017 wurden Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Insgesamt gibt es wohl noch 140.000 Akte. Die Häftlinge aus dem Arbeitslager, in dem Alija die kommenden Jahre verbracht hatte, mussten den Flughafen Rinas in der Nähe von Tirana bauen und dazu die Sümpfe trockenlegen. "Um sechs Uhr früh wurden wir aufgeweckt, wir bekamen eine Wassersuppe", erinnert er sich. Die Häftlinge arbeiteten zehn bis zwölf Stunden am Tag. Erst am Abend bekamen sie wieder eine Suppe zu essen.

In den Schlafhallen waren 180 Personen auf etwa 80 Quadratmetern untergebracht. Duschen gab es gar nicht, Löcher im Boden dienten als Latrinen. Das Lager war mit Stacheldraht umzäunt. Überall standen Wächter und Soldaten. "Wenn ein Häftling verstarb, sagte der Kommandant: Ein Feind weniger", erinnert Alija sich an den Umgangston im Lager. Manche der Häftlinge hätten nur noch 30 bis 40 Kilo gehabt. "Manchmal haben die Störche, die über uns flogen, Schlangen oder Schildkröten, die sie in ihren Schnäbeln hatten, fallen lassen. Die haben wir dann gegessen", erzählt Mark Alija. "Die Störche waren für uns ein Zeichen, dass es Gott gibt."

Kein Begräbnis bis zum Ende der Strafzeit

Besonders schwierig sei es für die Verwandten gewesen, die Eingesperrten in dem jämmerlichen, abgemagerten Zustand zu sehen. Zwei Mal im Monat duften sie zwei Minuten mit den Häftlingen sprechen. Manche Gefangenen wurden in eine Einzelzelle gesteckt. Viele starben im Lager an Malaria, an Unterernährung, an Krankheiten und an den Folgen der Folter. Doch die menschlichen Überreste der Verstorbenen durften erst dann an die Verwandten überstellt werden, wenn die "Strafe abgesessen" war. Bis dahin gab es kein Begräbnis. Viele Familie warteten Jahre darauf und konnten sich nicht verabschieden.

Viele Gräber der politisch Verfolgten wurden bis heute nicht gefunden. Opfervertreter fordern daher, dass Menschen, die über die Lage der Gräber Bescheid wissen, dazu gezwungen werden sollten, die Orte zu verraten. Zurzeit beschäftigt sich ein parlamentarischer Ausschuss mit Restitutionsfragen. Die Opfervertreter fordern, dass das ehemalige Eigentum der Familien der Häftlinge endlich vollständig zurückerstattet wird. Auch im Fall von Mark Alija wurden das Haus und die Wertgegenstände nicht restituiert – ihm selbst hatte dies alles zum Zeitpunkt der Enteignung gar nicht gehört, sondern seinen Eltern. Aber auch das beschlagnahmte Eigentum der Verwandten anderer politisch Verfolgter – deren Häuser, Grundstücke, Wertsachen – wurden nur in den Städten zurückgegeben.

Auf dem Land gar nicht restituiert

Einer der Opferverbände hat deshalb kürzlich ein paar Änderungen des Gesetzes für die Entschädigung im Parlament eingereicht. Die albanische Verfassung erkenne eigentlich den Entschädigungsanspruch für Enteignungen und Konfiszierungen an, erklärt Glos. Zudem gäbe es ein Gesetz, welches die Rückerstattung und Kompensation für enteignete Grundstücke regle. Doch bisher wurde nur in den Städten Eigentum restituiert, aber auf dem Land gar nichts. Es gab einige wenige finanzielle Kompensationen, aber nicht systematisch und regelmäßig. 26.000 Familien warten noch auf eine Entschädigung. Weitere 11.000 Familien hätten noch keinen Gerichtsentscheid über ihre Entschädigungsansprüche, so Glos.

"Viele ehemalige Häftlinge leben heute von 100 Euro im Monat", erzählt Alija. Ihnen wurde vom albanischen Staat 2.000 Lek – knapp 15 Euro pro Tag – als Entschädigung zugestanden. Alija bekam etwa 26.000 Euro. Aber es gibt Überlebende, die noch gar nichts bekommen haben, und viele leben heute nicht mehr. Die Gefängnisleiter, die Wächter, die folterten und Menschen töteten, wurden gar nicht bestraft. Denn ihre Taten waren nach den Gesetzen damals "legal".

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Einige hohe Funktionäre des Regimes wurden wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zwischen 1994 und 1996 verurteilt, auch der Nachfolger von Diktator Enver Hoxha, Ramiz Alija. Doch die ehemaligen Parteiführer konnten alle bei den Unruhen im Jahr 1997 aus dem Gefängnis spazieren – denn damals herrschte Anarchie in Albanien. Später wurden sie zusätzlich rechtlich rehabilitiert. "Sie wurden für den Gefängnisaufenthalt entschädigt und bekamen sechsmal so viel wie die früheren Häftlinge im kommunistischen Regime", erzählt Alija.

Nach seiner Entlassung wurde Alija Maler und Anstreicher. "Ich habe alles verziehen, nur eines nicht, dass die Druck auf mich gemacht haben, zu den Sigurimi zu gehen", sagt er heute. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wurde er vom Geheimdienst angeheuert. Aber Alija sah die Sigurimi als die Schlange, "der man die Zähne ziehen musste", und unterzeichnete das Formular, das man ihm vorlegte, nicht, obwohl ihm nochmals Gefängnis angedroht worden war. Sein Nachbar, der ihn als Jugendlicher damals "verraten" hatte, hat ihn später übrigens um Verzeihung gebeten. (Adelheid Wölfl aus Rubik, XX.1.2018)