Bonobomann Fizi lebt in der Schutzstation, in der Forscher ein Verhaltensexperiment durchführten. Wie alle seine Artgenossen hat auch er ein Faible für schlimme Finger.
Foto: Christopher Krupenye, Duke University

Durham – In der jüngsten "Planet der Affen"-Filmtrilogie wurde die Rolle des gewalttätigen Fieslings Koba einem Bonobo zugewiesen. Das ist ein bemerkenswerter Fall von Besetzung gegen den Typ, denn zu dieser Menschenaffenart hat sich längst ein festes Image etabliert, das schon an ein Klischee grenzt: Bonobos gelten als friedlich und freundlich. Konflikte lösen sie in der Regel nicht wie Schimpansen im Kampf, sondern durch Unmengen von Sex – und das in jeder denkbaren Geschlechterkombination.

Das öffentliche Image von Schimpansen hat stark gelitten, seit Jahrzehnte intensiver Beobachtung zu Tage brachten, in welchem Ausmaß sie zu Gewalt fähig sind. Das gilt sowohl innerhalb der eigenen Gruppe als auch im Verhältnis zu benachbarten Schimpansengruppen, gegen die über Jahre hinweg regelrechter Krieg geführt werden kann. Im Kontrast dazu gelten Bonobos als "Hippies" – ein Wort, das auch US-Biologe Christopher Krupenye im Kontext einer neuen Bonobo-Studie wieder verwendet hat. Diese führte zu überraschenden Erkenntnissen und zeigte, dass die Wirklichkeit etwas nuancierter ist als das Klischee.

Menschliches Verhalten als Ausgangspunkt

2007 hatte ein Team um den Psychologen Paul Bloom von der Universität Yale eine Studie in "Nature" veröffentlicht, derzufolge menschliche Babys schon im Alter von einigen Monaten unterscheiden können, ob sich jemand anderen gegenüber hilfreich oder destruktiv verhält. Und wie sich zeigte, bevorzugen sie eindeutig die Helfer: ein Verhalten das offenbar tief in uns Menschen verankert ist, wenn es sich schon so früh äußert.

Diese Erkenntnis inspirierte den Anthropologen Brian Hare von der Duke University zu seiner nun in "Current Biology" veröffentlichten Studie. Zusammen mit Krupenye wollte er herausfinden, wie es jene zwei Spezies mit der Gut-Böse-Unterscheidung halten, die uns evolutionär am nächsten stehen: Schimpansen und Bonobos. Zunächst konzentrierten sich die Forscher dabei auf den sympathischeren Teil der Verwandtschaft.

Schulfernsehen auf Bonobo-Art

Für ihr Experiment begaben sie sich in die Schutzstation Lola ya Bonobo in der Demokratischen Republik Kongo. Dort wurde dann 24 ausgewachsenen Bonobos Schulfernsehen mit moralischer Komponente vorgeführt. Zunächst sahen sie Videos, in denen eine Pac-Man-ähnliche Cartoonfigur versucht, einen Hügel zu erklimmen. In einer Variante taucht eine zweite Figur auf, die ihr dabei hilft – in einer anderen schubst ein böser Pac-Man den Kletterer wieder nach unten.

Als zweites Programm gab es einen Sketch mit echten Protagonisten: einem Schauspieler, der ein Stofftier außer Reichweite des Besitzers warf, und erneut einem Helfer, der das Spielzeug zurückgab, oder einem Fiesling, der es sich selbst schnappte.

Du musst dich entscheiden

Jeweils im Anschluss an die Fernsehstunde folgte der Verhaltenstest. Den Probanden wurden zwei Äpfel serviert, auf denen Papierfiguren mit der Silhouette von gutem respektivem bösem Pac-Man lagen. Und sie durften Äpfel direkt entgegennehmen und sich dabei entscheiden, ob sie sie lieber vom Helfer oder vom Spielzeugdieb geschenkt bekamen.

Und was taten die Bonobos? Sie entschieden sich jeweils für den Schurken. Sie nahmen als erstes den Apfel, auf dem der böse Pac-Man lag, und ließen sich beim Direktkontakt die Belohnung lieber vom Dieb geben. Es zeigte sich sogar, dass sie den Bösewicht, der ihnen schon vor dem Experiment vorgestellt worden war, nach Ausstrahlung seiner Missetat mehr mochten als zuvor. Sie waren offensichtlich wie menschliche Kleinkinder dazu in der Lage, Gut und Böse zu unterscheiden – faszinierenderweise zogen sie daraus aber die genau entgegengesetzte Konsequenz.

Machtfrage

Nachdem sie ihre anfängliche Überraschung überwunden hatten, entwickelten die Forscher rasch eine Hypothese zur Erklärung dieses Paradoxons: Es dürfte um Macht gehen. Auch in den Regenwald-Kommunen der Hippie-Affen spielen Hierarchien, Macht- und Dominanzverhalten nämlich eine wichtige Rolle. Es könnte aus Bonobo-Sicht also vernünftiger sein, sich an einen moralisch zwar verwerflichen, aber eben auch durchsetzungsfähigen Fiesling anzubiedern als an einen integren Softie.

Um diese Hypothese zu überprüfen, führten Hare und Krupenye ein letztes Experiment durch. Sie führten ihrem Bonobo-Publikum Videos vor, in denen sich zwei Cartoon-Figuren um einen besonders bequemen Platz stritten. Und die Zuschauer favorisierten anschließend tatsächlich stets den Sieger. Für Bonobos dürfte es sich rechnen, sich mit dominanten Individuen gutzustellen, sagt Krupenye. Das könnte besseren Zugang zu Nahrung und Paarungspartnern bedeuten und würde das Risiko, gemobbt zu werden, verringern.

Wege zur Kooperation

Uns Menschen geht die Bevorzugung von Übeltätern rein emotional natürlich stark gegen den Strich – in uns sei eben das gegenteilige Verhalten verankert, so die Forscher. Die Evolution habe uns im Gegensatz zu unseren Verwandten in eine Richtung geführt, in der das Instrument der sozialen Kontrolle greife; durch drohende Ablehnung sollen Übeltäter abgeschreckt werden. Und noch mehr: Diese speziell menschentypische Priorisierung könnte letztlich die Grundlage unserer ganzen Zivilisation sein. Sie fördere nämlich die Kooperation – auch mit Unbekannten und in großer Zahl.

Für die Bonobos, die nur in Gruppen von einigen Dutzend Mitgliedern leben, funktioniert die Strategie, dominanten Artgenossen gegenüber Wohltätern den Vorzug zu geben. Die Komplexität der bedeutend größeren menschlichen Gemeinschaften erfordert aber ein anderes Verhalten – oder genauer gesagt wären diese ohne solches Verhalten gar nicht erst entstanden. Wie es bei der dritten eng verwandten Spezies, dem Schimpansen, aussieht, wollen die Forscher in einer künftigen Studie herausfinden. (jdo, 5.1.2018)